Das juengste Gericht
davon entfernt ist der Volkswirt . Ein nettes Weinlokal, wo es auch hübsche Kleinigkeiten zu essen gibt.«
Mit gespielt empörter Miene schaute Traudel an ihm herunter, bis ihr Blick an seinem Bauchumfang haften blieb. »Daran hatte ich jetzt weniger gedacht.« Sie lachte auf. »Aber ein schöner trockener Weißer, das wäre was.«
Beim Betreten des gut besuchten Weinlokals schlug ihnen eine gewaltige Geräuschkulisse entgegen, die einem kleineren Volksfest Ehre gemacht hätte. Schultz hatte, der Etikette folgend, darauf bestanden, vor seiner Frau den Schankraum zu betreten. Jetzt drängte sich Traudel an ihm vorbei, schob sich durch einige an der Theke mit ihren Gläsern gestikulierende Weinfreunde, entdeckte einen freien Zweiertisch und winkte ihrem Mann triumphierend zu.
»Wie hat dir das Konzert gefallen?«, fragte Traudel und prostete ihrem Mann zu.
»Herausragend gut.«
Traudel zupfte ihn am Ohrläppchen. »Jetzt kennen wir uns schon so lange, und noch immer versuchst du erfolglos, mich zu beschwindeln. Ich habe dein Gesicht ein paar Mal von der Seite beobachtet. Du hast manchmal gar nicht zugehört. Und das bei Sir Simon Rattle. Schäme dich. In der Pause bist du mit keinem Wort auf das Konzert eingegangen. Du hast ständig von der Sektbar aus die Apollo-Skulptur angestarrt und mir fassungslos erzählt, wie schrecklich sie sei. Also los, sag schon! Was beschäftigt dich?«
Mit theatralischer Geste klappte er in Augenhöhe die Innenseiten seiner Hände zur Decke aus. »Krawinckel kennt die Beucherts schon ewig. Das ergibt sich bereits aus der Vorstrafakte von Wolfgang Beuchert. Er war anwesend, als die Polizei die Todesnachricht Sunitas überbrachte. Mit den Kindern gab es ebenfalls Kontakte. Die kleine Schwester der Toten bezeichnete ihn als Heuchler und Lügner. Und der Drohbrief wurde neben dem Sessel gefunden, den er benutzt hatte. Sollte das nicht genügen, jemand in einem Tötungsfall als Zeugen zu vernehmen?«
Traudel machte mit der Hand ein Zeichen, dass er seine Stimme senken solle. Sie setzte ein spitzbübisches Lächeln auf.
»Du hast erzählt, dass du vor deinem Vortrag bei deinem Parteifreund Thilo Nachtigall warst. Was hat er denn dazu gemeint?« Schultz winkte ab und steckte sich eine Zigarre an. »Du kennst ihn doch. Nach wenigen Minuten war er wieder bei seinem Lieblingsthema angekommen, der 68er-Bewegung. Thilo meinte, die Zeiten der Schonung gehobener Kreise und Prominenter seien seit den siebziger Jahren vorbei.«
»Daran zweifelst du wohl nach deinen heutigen Erfahrungen?«
»Das will ich so grundsätzlich nicht sagen. Ich bin unsicher. Vielleicht haben sich nur die Methoden zur Entwicklung von Schutzmechanismen geändert. Die Kultur, wie nachgeordnete Behörden auf die gewünschte Spur gebracht werden, hat sich jedenfalls verfeinert. Die Verknüpfung von Erwartungen und der Drohkulisse bei Widerständen ist subtiler geworden.«
»Das klingt sehr abstrakt. Was sollen mir diese kryptischen Hinweise sagen?«
»Nun, ich habe heute den Eindruck gewonnen, dass im Ministerium zwischen meinen Hoffnungen auf einen Karrieresprung einerseits und der von mir beabsichtigten Vernehmung Krawinckels andererseits eine sanfte Verbindung hergestellt wurde. Härter formuliert heißt das, dass ich die Vernehmung im Interesse meiner Beförderung lassen soll. Zumindest habe ich die Empfehlungen und Bedenken der Ministerin so aufgefasst.«
»Nach der Schilderung, die du mir eben von deinem Vortrag in Wiesbaden gegeben hast, kann man die Bemerkungen so verstehen, man muss es aber nicht. Die Formulierungen können durchaus auch unverdächtig ausgelegt werden.«
»Das ist es eben, was ich vorhin zum Ausdruck bringen wollte. Es werden ein paar Nebelkerzen gezündet. Alles wird ein bisschen offengehalten. Keiner sagt, was wirklich los ist. Ich mag diese diplomatischen Umgangsformen nicht. Mir ist viel lieber, wenn ich weiß, woran ich bin.«
Traudel nippte an ihrem Weinglas und lächelte. »Wem sagst du das. Ich kenne dich. Um bei dem von dir gewünschten Klartext zu bleiben. Du möchtest also jetzt, dass ich dir sage, ob du Krawinckel vernehmen sollst oder nicht.«
Die Gesichtszüge von Schultz verfinsterten sich. »Nein, natürlich nicht. Ich weiß, dass du mir diese Entscheidung nicht abnehmen kannst. Das will ich gar nicht. Meines Erachtens reichen die von uns ermittelten Beziehungen Krawinckels zu den Beucherts aus, um seine Zeugenvernehmung gerade in einem Tötungsfall nahezulegen. Jedenfalls
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