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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
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Gesprächswunsches konnte kein Zweifel aufgekommen sein. An den Folgen eines Fernbleibens ebenfalls nicht. Den Treffpunkt hatte er sich vorher gut überlegt. Es durfte kein stiller, menschenleerer Ort sein. Hier vor der Börse, mitten in der Innenstadt war genau die richtige Stelle. Viele Leute bummelten herum, vor allem japanische Touristen, die ständig die beiden Bronzestatuen fotografierten. Wem würde hier auffallen, wenn sich zwei Menschen kurz unterhielten? Wer würde sich schon an einen derart alltäglichen Vorgang erinnern?
    Die angespannte Miene des Mannes löste sich. Ein Lächeln flog über seinen halb geöffneten Mund.
    Der Junge schaute sich unsicher nach allen Seiten um. Mit dem Turnschuh kickte er nach einer auf dem Boden liegenden Pappschachtel.
    Der Mann machte durch ein Winken auf sich aufmerksam.
    Als der Junge vor ihm stand, klopfte er ihm auf die Schulter.
    »Schön, dass du vernünftig bist, Dubho.«
    Dubho zog die Augenbrauen hoch. Sein Gesicht drückte Resignation aus. »Es ist okay so.«
    »Du siehst, dass du mir vertrauen kannst. Hier ist alles voller Menschen. Du musst keine Angst haben. Ich will dir doch nichts tun. Mir geht es nur darum, dass du vernünftig bist.«
    Das Zucken um Dubhos Mund verriet seine Beklommenheit.
    »Sie haben mir nach der Schule gesagt, dass Sie mit mir über Sunita reden müssen. Ich sei in Gefahr und müsse sehr vorsichtig sein.«
    »Genau! Ich will dir helfen. Das musst du mir glauben.«
    Der Gesichtsausdruck von Dubho blieb misstrauisch. »Was soll ich getan haben? Weshalb brauche ich Ihre Hilfe? Ich kenne Sie doch gar nicht.«
    Die dünnen Lippen des Mannes bildeten ein seifiges Grinsen. Er begann, auf und ab zu gehen und das Denkmal zu umrunden, so dass Dubho ihm ständig nachlaufen musste, um seine leise Stimme aufnehmen zu können. »Das soll auch so bleiben. Engel sind immer anonym. Zur Sache, Dubho! Du hast einen Zettel geschrieben. Mit merkwürdigem Inhalt. Das war nicht sehr klug von dir.«
    »Woher wissen Sie von dem Zettel?«
    Das kalte Lächeln des Mannes wurde breiter. »Das soll nicht deine Sorge sein. Ich stelle hier die Fragen. Du hast einen Fehler gemacht. Dein Briefchen ist in Hände geraten. Zum Glück in die richtigen. Nun erzähle mir mal, was du mit diesem Stückchen Papier sagen wolltest. Was weißt du denn genau?« Der Mann packte Dubho an der Schulter. »Und keine Lügen, bitte. Das merke ich sofort. Wir wollen doch beide, dass du dich weiter wohlfühlst.«
    Schweißperlen traten auf Dubhos Stirn. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei, blickte unter sich und begann, an seinem Daumennagel zu kauen. »Das ist es ja. Sie werden mir kaum glauben. Ich wollte nur Sunita ein bisschen unter Druck setzen, damit sie ihre Geheimnisse mit mir austauscht. Weil ich Sunita gernhatte und mit ihr gehen wollte. Aber sie hatte nichts für mich übrig und war böse auf mich. Mit dem Briefchen wollte ich nur erreichen, dass sie wieder mit mir redet und sich mir anvertraut.«
    Der Mann ließ Dubhos Schulter los und nahm wieder seine Runden um die Bronzestatuen auf. Plötzlich blieb er stehen, drehte abrupt erst den Kopf und dann den Körper zur Seite. Erneut baute er sich vor Dubho auf. »Ich habe dir bereits gesagt, dass du mich nicht belügen sollst. Sei vorsichtig! Bist du gerne in Deutschland?«
    »Die … die Frage verstehe ich nicht.«
    »Du möchtest sicher auch, dass es dir und deiner Familie weiter gut geht?«
    Mit ängstlichem Gesicht schaute sich Dubho um. »Was habe ich denn getan? Was wollen Sie überhaupt von mir? Lassen Sie mich in Ruhe, sonst gehe ich zur Polizei.«
    Der Mann fixierte ihn mit böse flackernden Augen. »Das würde ich dir nicht raten. Dein Briefchen an Sunita war eine ganz klare Drohung. Wenn die Polizei den Zettel sieht, kommt sie vielleicht auf die Idee, dass du sie umgebracht hast. Vielleicht hast du es ja auch getan. Was würdest du sagen, wenn ich dich dabei beobachtet hätte?«
    Dubho blickte rasch nach rechts und nach links. »Hören Sie auf damit. Das erfinden Sie jetzt, um mir Angst zu machen.«
    »War die Polizei schon bei dir? Was hast du ihnen gesagt? Hast du ihnen erklärt, was du mit deinem Briefchen an Sunita gemeint hast?«
    Wieder kaute Dubho an den Nägeln. »Sie war da. Von dem Zettel wussten sie nichts.«
    »Was hast du ihnen sonst verraten?«
    »Nichts. Absolut nichts. Ich weiß ja nichts.«
    Mit einer raschen Bewegung zog der Mann Dubho dicht an sich heran, drehte blitzschnell den Kopf zu ihm hin und

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