Das juengste Gericht
den Stuhl zurück und schnaufte, um deutlich zu machen, dass er alles aus seiner Sicht Wichtige gesagt habe.
Die übrigen Beteiligten nahmen eine abwartende Haltung ein und schauten vor sich hin. Ministerin Bauernfeind hielt den Kopf schief, zog eine Augenbraue hoch und sog die Luft ein. Sie nahm Blickkontakt zu Hübsch auf. »Wir werden natürlich, wie üblich, nicht durch eine Weisung in den Gang der Ermittlungen eingreifen. Andererseits werden Sie noch einmal sorgfältig prüfen müssen, ob für eine Vernehmung von Herrn Krawinckel ausreichende Anhaltspunkte vorliegen.« Ihre Augen wanderten zu Schultz hinüber. »Der Annahme, dass er möglicherweise Kontakt zu dem Mädchen hatte, steht auf ziemlich schwachen Füßen. Selbst wenn es zutrifft, gibt diese Erkenntnis nicht viel her. Irgendwelche Hinweise darauf, dass Herr Krawinckel in der Sache weiterhelfen könnte, haben Sie nicht vorgetragen. Ihre vorgesehene Vernehmung trägt damit vom zu erwartenden Ergebnis her eher Zufallscharakter. Außerdem dürfen wir nicht ganz außer Betracht lassen, dass Herr Krawinckel von einer Einbeziehung in das Verfahren, wenn auch nur als Zeuge, mehr betroffen würde als Menschen, die weniger im öffentlichen Leben stehen.« Sie lächelte Schultz ohne Wärme zu. »Verständnis für übergeordnete Belange setze ich bei allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voraus. Das gilt insbesondere für Führungskräfte.«
Rosa Bauernfeind schaute ihre Mitarbeiter der Reihe nach an. Die Ministerialbeamten lehnten sich in ihre Sessel zurück. Sie hatten überwiegend die Hände gefaltet und nickten mit hoheitsvollen Mienen.
Schultz fühlte sich an die Karikaturen in Wilhelm Buschs »Jobsiade« erinnert. Er bezog die letzten Ausführungen der Ministerin auf seine beruflichen Ambitionen und glaubte, verstanden zu haben. Unbehagen beschlich ihn. Als alle schwiegen, entschied er sich, seine Position zu verteidigen. »Verzeihen Sie, Frau Ministerin. Ich bin nicht sicher, ob ich auch erwähnt hatte, dass mich gestern erst einer der Kriminalbeamten auf einen Zettel aufmerksam machte, den die Adoptivmutter des getöteten Kindes neben dem Sessel von Herrn Krawinckel aufgefunden hat.«
Die Ministerin sah zu Hübsch hin. »Na und? Was heißt das schon? Haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass Herr Krawinckel den Zettel verloren hat? Dieser Fund kann ebenso gut auf anderen Fakten beruhen.« Sie stemmte ihre Hände auf den Tisch und reckte sich auf. »Es ist alles erörtert und abgewogen. Bedenken Sie das bitte, falls Sie an Ihren Vorstellungen festhalten. Sie werden das dann natürlich auch zu verantworten haben. Wir bitten Sie, uns durch eine ständige Berichterstattung auf dem Laufenden zu halten. Sollten Sie die Zeugenvernehmung von Herrn Krawinckel für unverzichtbar halten, teilen Sie dies bitte vorab fernmündlich dem Leiter unserer Strafrechtsabteilung mit.«
Nüchtern rutschte auf seinem Stuhl hin und her, bis er die Aufmerksamkeit der Ministerin auf sich gezogen hatte. »Wir werden die Vorgänge sorgfältig im Auge behalten und auf eine Förderung des Verfahrens achten, die auch vertretbar sein muss.«
Hübsch runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Selbstverständlichkeiten!«
Die Vertreter des Ministeriums beließen es bei einem beflissenen Mienenspiel. Ministerin Bauernfeind schaute sich um. »Gibt es noch Wortbeiträge? Nein? Dann schließe ich hiermit die Sitzung.«
Sie erhob sich und verabschiedete die Gäste mit Handschlag. Dann verließ sie den Sitzungssaal im Gefolge ihrer Mitarbeiter.
23. Kapitel
Als Sir Simon Rattle an diesem Abend am Ende der 5. Sinfonie Beethovens den Taktstock senkte, brachen in der Alten Oper Frankfurts frenetischer Beifall und zahlreiche Bravorufe aus. Einige Besucher in den vorderen Reihen des Parketts erhoben sich von ihren Sesseln und applaudierten stehend. Nach und nach schloss sich das übrige Publikum an.
Zwei Zugaben folgten. Dazwischen überreichte ein junges Mädchen dem gefeierten Dirigenten seitens des Hauses einen üppigen Blumenstrauß in gelben Farbtönen. Nach mehreren weiteren Vorhängen leerte sich langsam der Saal.
Traudel Schultz zupfte ihren Mann am Ärmel. »Auf diesen schönen Abend gehen wir jetzt noch irgendwo ein Gläschen trinken. Welche Kneipe schlägst du vor?«
»Wie wär’s mit dem Club Voltaire , der ist hier in der Nähe.« Schultz bemerkte Traudels kritischen Blick. »Da gehen wir natürlich nicht hin, zumal wir dafür völlig overdressed sind. Zwei Häuser
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