Das juengste Gericht
presste seinen Mund an sein Ohr. »Jetzt höre genau zu, mein Freund. Ein zweites Mal mache ich mir nicht die Mühe, mit dir zu reden. Du hältst den Mund. Gegenüber der Polizei und allen anderen Menschen auch. Kein Sterbenswort. Mich hast du nie gesehen. Und unser Treffen hat nie stattgefunden.« Der Mann kniff Dubho mit seinem Daumennagel ins Ohrläppchen. »Ist das klar?«
Dubho biss vor Schmerz die Zähne zusammen. Er nickte.
Der Mann trat einen Schritt zurück und formte seine Augen zu Schlitzen. »Denke an Sunita. Du hast gesehen, wie schnell alles vorbei sein kann.« Er zeigte mit dem Finger in Richtung Hauptwache. »Dort drüben ist es passiert.«
Automatisch folgte Dubhos Blick dem ausgestreckten Zeigefinger. Als er sich wieder umdrehte, war der Mann in der Menge der Marktbesucher verschwunden.
22. Kapitel
Ministerin Rosa Bauernfeind entpuppte sich als mittelgroße Frau mit blondem Bubikopf, schiefem Mund und beherrschtem Mienenspiel. Eine wie auch immer geartete Gemütsbewegung war ihrem Gesichtsausdruck nicht zu entnehmen. Bekleidet war sie mit einem schlecht geschnittenen grauen Nadelstreifenkostüm. Sie begrüßte die Anwesenden mit Handschlag und stellte ihre Begleiter als den Leiter ihres Ministerbüros, ihren persönlichen Referenten, den Leiter ihrer Strafrechtsabteilung und dessen Referenten für Strafrechtsfälle und Dienstaufsicht vor. Sie nahm Platz und forderte die Anwesenden mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen.
Die Ministerin nahm eine kerzengerade Haltung ein. Sie lächelte, ohne damit die frostige Atmosphäre zu entkrampfen.
»Das Ministerium hat ein gesteigertes Interesse, die Umstände, die zum Tod des jungen Mädchens in Frankfurt geführt haben, aus erster Hand zu hören. Die Angelegenheit hat nicht nur die erhöhte Aufmerksamkeit der Presse gefunden. Weite Teile der Bevölkerung nehmen daran Anteil und fiebern, wie rasch wir in der Lage sein werden, die Aufklärung des Falles zu betreiben. Die Arbeit der Justiz steht auf dem Prüfstand. Das darf natürlich nicht dazu führen, dass uns jedes Mittel zur Beschleunigung der Ermittlungen recht ist. Vielmehr müssen wir andererseits gewissenhaft darauf achten, dass wir nicht mit Übermaß reagieren. Dazu gehört, dass wir die möglichen Folgen unserer Arbeit und die Auswirkungen auf die Menschen, die wir in unsere Nachforschungen einbeziehen, vorher mit aller Sorgfalt bedenken. Es ist nicht unsere Aufgabe, großen Wirbel zu erzeugen, wenn wir von vornherein erkennen können, dass beabsichtigte Maßnahmen nur dazu führen, davon Betroffene in Verlegenheiten zu stürzen. Menschen etwa, die im öffentlichen Leben stehen und der Gemeinschaft dienen, haben deswegen einen Anspruch darauf, dass wir sie der Beobachtung durch die Presse und die Allgemeinheit nur dann aussetzen, wenn es für unsere Ermittlungen zwingend ist. Haben Sie verstanden, worauf ich hinauswill?«
Rosa Bauernfeind schaute in die Runde ihrer Mitarbeiter. Die an die Monologe der Ministerin gewöhnten Vertreter des Ministeriums hatten eine leicht nach vorn geneigte Sitzhaltung eingenommen und die Augen halb geschlossen. Die Ministerin wandte nunmehr ihre Blicke den Gästen zu.
Hübsch nickte und rückte seine Krawatte zurecht. Er leitete in das Vortragsthema ein, skizzierte den Fall und gab dann das Wort an Beilstein weiter. Der ergänzte einige Belanglosigkeiten und sah zu Nüchtern hin. Der Vertreter des Generalstaatsanwalts setzte einen aufmerksamen Gesichtsausdruck auf und verneinte sein Interesse an eigenen Ausführungen mit einem leichten Kopfschütteln.
Anschließend trug Schultz vor. Seine Haltung und seine Stimme verrieten, dass er aufgeregt war. Am Schluss seiner Ausführungen sagte er: »Wir wollen dem Verfahren jetzt Fortgang geben, indem wir Herrn Krawinckel durch die Staatsanwaltschaft, nicht durch die Polizei, in unseren Räumen als Zeugen vernehmen.«
Die Ministerin dankte Schultz mit frostigem Lächeln für den anschaulichen Vortrag und sah in die Runde ihrer Mitarbeiter. Als eine Resonanz ausblieb, forderte sie den Leiter der Strafrechtsabteilung mit einer Kopfbewegung zu einer Stellungnahme auf.
Der kleine gewichtige Mann holte tief Luft und wippte auf seinem Stuhl hin und her. »Frau Ministerin hat im Grunde schon eingangs alles Wesentliche ausgeführt. Es ist, wie es ist. Und weil alles so ist, wie es ist, sollten wir vorsichtig sein und nichts Unüberlegtes tun. Alle weiteren Schritte sollten sorgfältig bedacht werden.« Er lehnte sich in
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