Das juengste Gericht
werde ich seine Befragung nicht um den Preis meiner eigenen Karriere unterlassen. Das kann es nicht sein.«
Mit einer mäßigenden Handbewegung mahnte Traudel ihren Mann abermals, leiser zu sprechen. Sie setzte ein kokettes Lächeln auf. »Meine Empfehlung an dich ist, in diesem Fall zu überlegen, wie du handeln würdest, wenn dein Zeuge nicht Phillip Krawinckel, sondern Hans Müller hieße. Würdest du ihn dann vernehmen oder nicht?«
Schultz sog an seiner Zigarre und blies einige Kringel Rauch in die Luft. »Selbstverständlich. Keine Frage.«
»Siehst du, so kenne ich dich. Das mag ich an dir. Bleibe so.« Die Gesichtszüge von Schultz entspannten sich von einer Sekunde auf die andere. »Wir haben ein Ergebnis.« Er strahlte Traudel an. »Selbst wenn es auf Kosten der Beförderung sein sollte. Morgen schicke ich ihm die Ladung zur Zeugenaussage.«
Er strich sich über seine Haarbürste und dann über den Bart.
»Das war wieder ein Montag, der es in sich hatte.«
Traudel trank ihren Wein aus. »Apropos Montag. Am Montag, den 27. November werde ich operiert. Es wäre schön, wenn du einen Tag Urlaub nehmen könntest, um mich mit meinen ganzen Sachen im Krankenhaus abzuliefern.«
Die rötliche Gesichtsfarbe von Schultz wechselte innerhalb eines Augenblicks in eine fahle Blässe. Seine Lippen wurden schmal, die Augen wanderten ruhelos umher. »Natürlich mache ich das.« Er zögerte. Mit einem Ruck zog er seine goldene Taschenuhr aus der Weste und warf einen Blick darauf. »Es ist spät. Wir sollten nach Hause gehen.«
Traudel schüttelte den Kopf, lächelte und streichelte ihm über die Hand. »Mein armes Mimöschen.«
24. Kapitel
Hanspeter Schultz saß mit Schreiner und einer Protokollführerin in seinem gut beheizten Dienstzimmer und erwartete den Zeugen Phillip Krawinckel, den er auf den heutigen Mittwoch, den 22. November, 11:00 Uhr, als Zeuge in sein Dienstzimmer in der Staatsanwaltschaft Frankfurt geladen hatte. Er war bereits vor einer knappen Stunde ins Büro gekommen, um sicherzustellen, dass an alles gedacht war. Das Zimmer hatte er gründlich gelüftet und für ausreichende Sitzgelegenheiten gesorgt. In einem Vorgespräch mit der Polizei hatte er sich darauf verständigt, dass es optisch glücklicher sei, wenn nur einer der ermittelnden Polizeibeamten anwesend sein würde, und dessen Auswahl der Polizei überlassen. Sein Zimmerkollege Diener hatte eine Hauptverhandlung bei einer Strafkammer wahrzunehmen.
Das von Schultz eingeplante zeitliche Polster hatte sich als hellseherisch erwiesen. In der Nacht war ergiebig Schnee gefallen. Erst am frühen Morgen hatte ein eiskalter Nordwestwind die schweren dunklen Wolken mit einer so atemberaubenden Geschwindigkeit über den tief hängenden Himmel geblasen, dass an Niederschläge nicht mehr zu denken war.
Als die Stadt erwachte und Schultz zum ersten Mal zu Hause aus dem Fenster geschaut hatte, bot sie die für diese Witterungsverhältnisse typischen Bilder. Dick eingepackte Menschen tänzelten, mit Handfegern und Eiskratzern ausgestattet, um die im Freien geparkten Autos herum und versuchten, die Fensterscheiben von den Schneebergen zu befreien. Die ersten gestarteten Fahrzeuge schlängelten sich behutsam über den dick gepolsterten Asphalt und ließen den Schnee in den Bordsteinrinnen rasch zu schwärzlichen Frosthaufen verkommen.
Schultz warf einen Blick auf seine Taschenuhr. Gleich musste Krawinckel eintreffen.
Beruhigt rief sich Schultz in Erinnerung, dass es keiner großen Überredungskünste bedurft hatte, um Hübsch und Beilstein vom Erfordernis einer Einvernahme Krawinckels zu überzeugen. Beide waren Praktiker und kannten das Geschäft. Die erbetene vorherige Unterrichtung des Generalstaatsanwalts hatte Beilstein, die Informierung des Ministeriums Hübsch übernommen. Die Mitteilungen waren vor wenigen Minuten kommentarlos entgegengenommen worden.
Punkt 11:00 Uhr klopfte es an der Tür. Krawinckel trat nach Aufforderung ein, schaute sich zunächst neugierig und später abschätzig um und ließ die Tür für einen männlichen Begleiter offen. »Mein Name ist Phillip Krawinckel. Ich bin als Zeuge hierher bestellt, obwohl ich nicht den Grund dafür kenne.« Er drehte sich zu dem mittelgroßen, etwas fülligen Endfünfziger hinter ihm um, der ein verbindliches Lächeln aufgesetzt hatte.
»Das ist Herr Rechtsanwalt Doktor Rolf Schaller. Da ich von den Vorgängen hier nichts verstehe, habe ich ihn um seine Begleitung gebeten. Ich denke, dass
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