Das juengste Gericht
helfen.«
Schultz seufzte. »Noch eine letzte Frage. Was war Sunita für ein Mensch?«
»Das sagte ich schon. Sie war nahezu erwachsen. Und eitel. Sie wusste haargenau, was sie wollte, und kokettierte gerne mit ihrer Weiblichkeit.«
»Das verstehe ich nicht. Können Sie das bitte etwas näher ausführen.«
»Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir gingen einmal in eine Gaststätte, die bevorzugt von Jugendlichen besucht wird. Es gab dort diese stereotypen Essen, wie sie nur Jugendliche mögen, ohne jede Abwechslung. Sunita wollte sich bei mir einhängen. Sie bat mich vorzutäuschen, wir seien ein Paar.«
»Haben Sie ihr den Gefallen getan?«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe ihr gesagt, dass mich die jungen Leute viel eher für ihren Großvater halten und sich totlachen würden.«
»Zum Abschluss und nur der Vollständigkeit halber würde ich gerne noch von Ihnen wissen, wo Sie sich am frühen Vormittag des 1. November aufgehalten haben.«
Rechtsanwalt Doktor Schaller tupfte mit seinen Fingerspitzen auf seinen leicht gewölbten Bauch. Er lächelte. »Diese Frage wird und muss mein Mandant nicht beantworten. Sie ist skandalös. Mein Mandant ist hier als Zeuge geladen. Wollen Sie etwa klären, ob er für die Tat in Betracht kommt?«
Bevor Schultz protestieren konnte, kam ihm Krawinckel zuvor.
»Ich habe nichts zu verbergen. Nach Erledigung von ein paar Kleinigkeiten, die mir natürlich nicht mehr im Detail erinnerlich sind, ging ich zu Beucherts. Dort habe ich den Besuch der Polizei mitbekommen, als sie die Nachricht vom Tode Sunitas überbrachte. Genügt Ihnen das?«
Schultz nickte. Er hatte das Gefühl, etwas Wichtiges nicht gefragt oder vergessen zu haben. Nach einer kurzen Weile bedankte er sich, ließ das Vernehmungsprotokoll vorlesen und unterschreiben und verabschiedete sich von Krawinckel, Schaller und der Protokollführerin.
Als er die Tür wieder geschlossen hatte, atmete Schultz tief durch und lächelte Schreiner dabei an. »Wir sollten besprechen, wie wir weitermachen wollen. Sie könnten sich jetzt unsterbliche Verdienste verschaffen, wenn Sie uns in Vertretung des Kollegen Diener einen Kaffee kochen würden. Meine Bemühungen auf diesem Gebiet enden immer in einem Fiasko.«
Schreiner kümmerte sich um die Kaffeemaschine und ging nach draußen, um Wasser zu holen. Währenddessen warf Schultz einen raschen Blick auf seine Taschenuhr, betrachtete kopfschüttelnd die braunen Aktenstöße, kramte aus seiner Weste eine Zigarre hervor und zündete sie an. Seiner Schreibtischschublade entnahm er einen Zellophanbeutel mit Nougatpralinen und legte sie auf den Tisch.
Nachdem Schreiner zurückgekehrt war und Wasser auffüllte, zeigte Schultz auf seine Köstlichkeiten. »Bedienen Sie sich. Das ist Nervennahrung. Die können wir jetzt brauchen.«
»Ich muss vorher mal eine rauchen«, sagte Schreiner und steckte sich eine Zigarette an.
Schultz wühlte in seiner Hosentasche und zog den Zettel hervor, den Schreiner ihm während der Vernehmung zugesteckt hatte. »Der Hinweis auf die Fingernägel war nicht nötig. Mir waren der spitze Schnitt und die farblose Lackierung nicht entgangen. Aber was sagt uns das?«
»Ich weiß es noch nicht. Rein gefühlsmäßig meine ich, dass es wichtig sein könnte. Immerhin hat der indische Junge Dubho erzählt, dass Sunita den Mann, der sie gelegentlich von der Schule abholte, als weibisch bezeichnet habe. Wenn ich mir Krawinckel so anschaue, legt er überzogenen Wert auf sein Äußeres. Vielleicht hat sie das damit gemeint. Ist Ihnen übrigens aufgefallen, dass Krawinckel an irgendeiner Stelle sagte, Sunita sei erwachsen und reif gewesen, bei Ihrer späteren Nachfrage jedoch das Wort reif nicht mehr benutzte? Hat das etwas zu bedeuten oder war es reiner Zufall?«
»Bisher blicke ich noch nicht durch. Krawinckel stellt Sunita nahezu als verführerisch und sich selbst als eine Art Vaterfigur, Onkel oder sogar Opa dar. Ob er wirklich nur eine Art gutmütiger Freizeitgestalter war oder mehr dahintersteckte, ist völlig offen. Ich habe einfach überhaupt keine Vorstellung, welche anderen Motive der Mann gehabt haben könnte. Weder in seinem Privatleben noch im geschäftlichen Bereich sehe ich etwas, was uns weiterhelfen könnte. Er ist mit einer sehr gut aussehenden jungen Frau verheiratet und steinreich. Beuchert hat im Vergleich dazu eine strapazierte Ehe und ist ein armer Hund. Vielleicht gibt es trotzdem einen verborgenen Grund, warum er Beuchert verpflichtet sein muss.
Weitere Kostenlose Bücher