Das juengste Gericht
schaue ich mir meistens genauer an. Wissen Sie, das ist so eine Art Spiel von mir. Wenn ich auf Kundensuche bin, ist mir oft langweilig. Dann beobachte ich, woher die Autos um mich herum kommen und welche Buchstaben sie nach dem Kürzel für den Ort haben. Weil inzwischen die meisten Leute ihre Initialen nehmen, rate ich immer, wie sie wohl heißen könnten. Damit kürze ich mir die Wartezeit ab.«
Köhler rieb sich die Hände. »Fantastisch, Herr El Nasri. Sie haben die Buchstaben behalten?«
El Nasri legte den Kopf leicht schief und nickte. »Der Jaguar ist in Frankfurt zugelassen. Die nächsten beiden Buchstaben waren R und W. Ich habe das mit Sicherheit richtig behalten, weil mir Richard Wagner als Eselsbrücke einfiel. Als Deutscher muss ich den doch kennen.«
Köhler schmunzelte, stand auf, ging auf El Nasri zu und drückte ihm die Hand. »Vielen Dank. Ich werde Ihre Zeit noch einmal für eine protokollierte Vernehmung in Anspruch nehmen müssen. Dafür bitte ich um Ihr Verständnis. Jetzt kann ich das nicht tun, weil wir eiligst weiterermitteln müssen.«
»Kein Problem«, sagte El Nasri, verabschiedete sich und verließ den Raum.
Als El Nasri gegangen war, setzte sich Köhler hinter seinen Schreibtisch, grub den Kopf in seine Hände und dachte nach. Dann begann er zu telefonieren.
Nach einer knappen Stunde hatte Köhler alle Informationen eingeholt, die er zur Abrundung der Aussage von Ahmed El Nasri benötigte. Der Jaguar war auf Rainer Wegmann zugelassen, der im Frankfurter Stadtteil Fechenheim ein Box-Studio betrieb. Was die zweite Person anlangte, die Wegmann begleitet hatte, war er noch nicht weitergekommen. Das belastete ihn allerdings für den Moment nicht.
Eine dicke Überraschung ergab sich für ihn aus der Aktenkopie über den nächtlichen Überfall. Köhler hatte zwar von dem Vorfall aus den morgendlichen Mitteilungen über wichtige Ereignisse Kenntnis erhalten. Außerdem war das Thema in der Frühbesprechung erwähnt worden, weil diskutiert worden war, ob es sich um einen versuchten Totschlag handelte, der die Zuständigkeit des K 11 begründet hätte. Aus all diesen Informationen hatte sich für Köhler nicht der Name des Opfers erschlossen. Vielleicht hatte er nur nicht richtig aufgepasst.
Als Köhler jetzt den Namen des Opfers las, zuckte er zusammen. Er dankte innerlich dem Mann an der Pforte, dass er El Nasri zu ihm geschickt hatte.
Köhler ging drei Bürotüren weiter. Dort suchte er seinen Kollegen Dieter Sennelaub auf, um ihn zu bitten, mit ihm zu Rainer Wegmann zu fahren.
Sennelaub galt im K 11 als der Mann für das Grobe. Äußerlich wirkte er aufgrund seiner öligen langen Haare und der vielen Pickel im Gesicht ein wenig unappetitlich. Auch seine Bekleidung zeigte Verfallspuren, da Sennelaub zu Hause zwei Schäferhunde hielt, mit denen er sich offensichtlich häufig hautnah befasste.
Sennelaub war figürlich das, was man landläufig einen Kleiderschrank nennt. Auf Geburtstagsfeiern der Kollegen musste er von Mal zu Mal sein Kabinettstückchen vorführen. Dabei bot er einem der Anwesenden einen Platz an und hob ihn dann mitsamt dem Stuhl an einem einzigen Stuhlbein bis zur Brusthöhe an.
Sennelaub sagte sofort zu. Köhler fuhr mit ihm umgehend los, weil er davon ausging, dass Wegmann sich an einem Werktag um diese Zeit an seinem Arbeitsplatz aufhalten würde.
Sie passierten den Zoo, den Ostbahnhof und die Hanauer Landstraße und erreichten kurz darauf die Birsteiner Straße, in der sich das Sport-Studio in einem Hinterhof befand. Während der Fahrt hatte Köhler seinen Kollegen grob über den Fall unterrichtet.
Köhler und Sennelaub traten durch eine mit zahlreichen Reklameschildern beklebte, erbärmlich verdreckte Glastür ein. Eine Hand voll junger Menschen prügelte abwechselnd auf Punchingballs ein, stemmte im Schweiß gebadet Hanteln oder hüpfte mit unglaublichem Tempo immer wieder über das Springseil.
Rainer Wegmann war anwesend. Er hielt sich gerade an einem schweren Sandsack auf, den ein junger dunkelhäutiger Mann fortwährend mit den Fäusten bearbeitete. Als er die beiden Polizeibeamten sah, warf er ihnen einen unfreundlichen fragenden Blick zu.
Köhler stellte sich auf die Fußspitzen und flüsterte ihm das Wort »Polizei« ins Ohr. Wegmann schien nicht überrascht. Er forderte den Mann am Sandsack zum Weitermachen auf und gab den Beamten mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten.
An der gegenüberliegenden Längswand der
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