Das Kabinett der Wunder
dass er etwas sagte. Doch er saß einfach nur da, hielt seine Augen mit der einen und seinen bandagierten Kopf mit der anderen Hand.
Dann schloss er die Hand fest um die Augen, öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder zu einem festen Strich. »Was hat du getan?«
»Was... Was meinst du damit? Ich hab dir deine Augen gebracht.«
»Du hast Gefahr über dieses Haus gebracht!« Er schleuderte die Silberaugen durch das Zimmer und sie kullerten über den Boden.
»Aber …«
»Du hast Iris December gesagt, wer du bist. Und dieser Mann hat dich erkannt!«
»Aber sie werden nichts sagen. Ich vertraue Iris. Und sie haben mir geholfen. Sie können niemandem von mir erzählen, ohne sich selbst auch in Schwierigkeiten zu bringen.«
Mikal Kronos stieß ein hohles Lachen aus. »Im Gegenteil. Wenn sie in Schwierigkeiten sind, dann werden sie jede Einzelheit über dich preisgeben.«
Plötzlich wurde Petra wütend. »Für jemanden, der dumm genug war, sich vom Prinzen so hinters Licht führen zu lassen, dass er dachte, der Prinz wäre freundlich und nett und klug, nimmst du den Mund ganz schön voll, wenn du behauptest zu wissen, wie die Menschen wirklich denken, was sie tun und wie sie fühlen!«
»Petra!«, sagte Josef warnend.
»Und für jemanden, der etwas getan hat, das ich am allerwenigsten in der Welt jemals getan haben wollte, ist es ganz schön vermessen zu behaupten, du wüsstest, was gut für mich ist!«, schrie Mikal Kronos zurück. »Was glaubst
du, wie lange es dauert, bis der Prinz herausbekommt, dass der Diebstahl aus dem Kabinett der Wunder durch zwei Kinder etwas mit mir zu tun hat? Das dauert nur zwei Sekunden, Petra. Der Prinz braucht nur zwei Sekunden, um zu merken, dass das Herz der Uhr zerstört ist.«
»Jede Menge Leute könnten gewollt haben, dass das Herz zerbricht. Ich hab doch erzählt, was John Dee gesagt hat. Und wenn er davon wusste, müssen es auch andere gewusst haben. Der Prinz wird denken, dass seine Brüder etwas darüber herausbekommen und jemanden angeworben haben, der es zerstören sollte.«
»Und meine Augen? Glaubst du, er bemerkt nicht, dass die Augen fehlen?«
Petra wusste nicht, was sie sagen sollte. »Also... und wenn schon?«
»Und wenn schon?Vor ein paar Monaten war ich blind, aber wir waren in Sicherheit. Jetzt sind wir das nicht mehr.«
»Du... du glaubst, wir wären hier weiter in Sicherheit gewesen? Der Prinz konnte nicht rausbekommen, wie er das Herz zusammensetzen sollte, aber er hätte nicht ewig weiterprobiert. Er hätte dich holen lassen. Er hätte dich dazu gezwungen, es zu machen.«
»Und das hätte nur mich betroffen. Petra, verstehst du denn nicht? Ich habe meine Entscheidungen getroffen. Ich habe meine Pläne gemacht. Ich hab dich nicht gebeten, dich da einzumischen.«
»Das stimmt nicht! Ich weiß, du hast mich auf die Akademie schicken wollen. Oh ja, das weiß ich!«
Mikal Kronos winkte ab. »Also, das wird jetzt niemals passieren.«
»Gut! Da bin ich aber froh darüber! Weil ich da nämlich niemals hingegangen wäre! Du...« Ihre Stimme brach. Sie fühlte sich, als würde sie jemand innerlich auswringen wie einen Putzlumpen. »Was willst du von mir? Was soll ich denn sagen? Ich hab das alles für dich getan.«
»Hast du das wirklich?« Er hob die Arme und ließ sie dann auf die Lehnen des Stuhls fallen. Petra stand direkt vor ihm.Wieder schüttelte er den Kopf. »Es ist das Schlimmste, was du tun konntest.«
Das war nicht das, was Petra sich vorgestellt hatte. Das war nicht das, was sie sich überhaupt jemals hätte vorstellen können. Und so sagte sie etwas, von dem sie sich auch nicht hatte vorstellen können, es je zu sagen. »Ich hasse dich«, flüsterte sie. Dann rannte sie aus dem Zimmer.
Sie raste über den nassen Schnee, der bereits in der aufsteigenden Sonne zu schmelzen begann. Sie rannte, bis sie an ihrem eigenen Atem würgte, bahnte sich einen Weg in den Wald, setzte sich in den kalten Matsch und weinte.Von dem stundenlangen Zwiebelschneiden einmal abgesehen, hatte Petra nicht mehr geweint, seit ihr Vater nach Okno in sein Haus zurückgebracht worden war. Auch nicht bei den vielen Gelegenheiten, bei denen es ihr so sehr danach gewesen war. Jetzt aber glaubte Petra, sie könnte niemals mehr aufhören zu weinen.
Als sie es dann doch tat, fühlte sie sich wie ein ausgetrocknetes Flussbett. Wie zusammengepresster, getrockneter
und aufgerissener Schlamm und ohne Chance, irgendwann etwas anderes zu sein. Sie starrte blicklos vor
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