Das Kabinett der Wunder
hatte. Tomas Stakans Dankbarkeit darüber hatte Tomiks Mehr-oder-weniger-Gefangenschaft im »Haus zum Feuer« ein bisschen erträglicher gemacht. Ein bisschen.
Und Tomik war beeindruckt, als Petra beschrieb, wie sie seine Kugeln eingesetzt hatte. »So viel Wasser?«, fragte er. »Das muss ich ändern.« Während er darüber grübelte, wie er das hinbekommen könnte, blickte er in das erschöpfte Gesicht seiner Freundin. Plötzlich wurde ihm bewusst, welch großen Gefahren Petra ohne ihn ausgesetzt gewesen war, und er stellte sich die unerfreuliche Frage: Hätte er mit Petra nach Prag gehen sollen? Würde sich ihre Freundschaft nun verändern, weil er das nicht getan hatte?
»Vielleicht solltest du es lassen, wie es ist«, schlug Petra vor. »Mach doch das nächste Blubbern gerade so wie das erste. Es hat ganz schön geholfen.« Sie hatte den Schatten nicht bemerkt, der sich über Tomiks Gesicht gelegt hatte. Astrophil wohl, doch er sagte nichts.
David bat sie, ihre Geschichte immer und immer wieder zu erzählen. Neel war sein neuer Held, und David piesackte seine Mutter ständig damit, ihm eine rot-goldene Pagenjacke zu nähen.
Dita zankte mit Petra, sie würde zu viel reden, zu viel lesen, zu selten aufstehen und insgesamt so ungefähr alles tun, was sie konnte, um zu vermeiden, dass es ihr besser ginge. Petra erwischte sich dabei, absichtlich Regeln zu verletzen, bloß damit Dita sich beschweren konnte. Dieses Spiel spielten die Cousinen miteinander, und Petra begriff zum ersten Mal, dass sie es voller Zuneigung spielten.
Nach seinem ungewöhnlichen Ausbruch von Gesprächigkeit war Josef wieder schweigsam geworden. Er nickte Petra zu, wenn er an ihrem Zimmer vorbeikam, sagte aber nicht viel, als machte es ihn verlegen, dass er so viel gesagt hatte. Außerdem hatte er ordentlich zu tun, denn es gab eine Menge an Aushilfsarbeiten zu erledigen. Während der Wintermonate war auf den Bauernhöfen wenig zu tun und so bot sich Josef für andere Arbeiten an. Er nahm Gelegenheitsarbeiten an, reparierte Häuser und kümmerte sich um die Pferde. Er ritt Boschena. Sie gehorchte ihm bereitwillig, und er verlangte nicht zu viel von ihr, denn sie hatten beide erkannt, dass sie eine wechselseitige Zuneigung verband.
Petras Vater kam mehrfach am Tag in ihr Zimmer. Obwohl er nicht länger blind war, hatte die Familie beschlossen, dass das vor allen geheim gehalten werden sollte, au ßer vor ihren besten Freunden, den Stakans. Das bedeutete, dass Mikal Kronos nur selten das Haus verließ, und wenn er das tat, musste er sein Gesicht bandagieren und so tun, als müsste er sich auf den Arm von jemandem stützen. Er mochte es zwar nicht, Blindheit vorzutäuschen, doch ihm war klar, dass die Nachricht von seiner wundersamen Heilung leicht den Prinzen erreichen konnte.
Petra und ihr Vater tauschten Ideen aus, wie sie das auch vor fast einem Jahr gemacht hatten, ehe Mikal Kronos nach Prag aufgebrochen war, um für Prinz Rodolfo eine Uhr zu bauen. Doch heute lagen die Dinge anders. Man konnte das an der etwas steifen Art erkennen, in der sie miteinander sprachen, als wollten sie sich wechselseitig um Verzeihung bitten.
Eines Morgens wachte Petra im Morgengrauen auf. Das war noch etwas, das sich verändert hatte. Seitdem sie als Dienerin gearbeitet hatte, hatte sie sich daran gewöhnt, früh aufzustehen, und sie hatte gemerkt, dass ihr das gefiel. Heute fühlte sie sich stark und gesund.
Sie schlüpfte aus dem Bett und ging in die Bibliothek ihres Vaters. Astrophil saß auf ihrer Schulter.
Petra schloss die Tür der Bibliothek hinter sich und öffnete das Geheimfach im Boden. Sie wusste nun, warum ihr Vater den Sack dort versteckt hatte. Und zwar deshalb, weil diese Werkzeuge als Waffen benutzt werden konnten.
Vorsichtig durchsuchte sie den Sack. Während sie die unsichtbaren Geräte abtastete, stieß sie auf eines, das nicht wirklich ein Werkzeug war. Kein Schraubenzieher, kein Hammer oder Schraubenschlüssel. Es war ein dünnes Schwert. Sie wog es in der Hand. Es fühlte sich leicht an. Es fühlte sich an, als wäre es für sie gemacht worden. Und wahrscheinlich war es das auch.
Die größte Veränderung für alle in ihrer Familie war von ihrem Vater herausgeschrien worden: Sie waren nicht länger sicher. Er hätte nicht so zornig sein müssen. Er hätte sie nicht beschuldigen sollen. Das war klar. Aber Petra wusste auch, dass Einiges von dem, was er gesagt hatte, stimmte. Es konnte sein, dass es nicht mehr lange dauerte, bis
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