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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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Zaumzeug gefunden hab. Ihr Kinder steckt ganz schön in Schwierigkeiten. In Schwierigkeiten, die mit dem Todesurteil enden.«
    Petra und Neel hatten so viel getan, hatten gut geplant und waren mit Glück aus so vielen schwierigen Situationen entkommen, nur um jetzt von einem Mann erwischt zu werden, der Petras Vater behandelt hatte, als wäre er ein Bündel zusammengebundener Pflöcke hinten auf seinem Wagen gewesen. Das ist so ungerecht! , schrie jede Faser in Petras Körper. »Warum?«, wollte sie wissen. »Warum musst ausgerechnet du es sein, der mir alles zerstört?«
    »Aber es ist noch nicht vorbei!«, schrie Neel. »Genug geredet, Pet! Los geht’s!«

    »Ja, genug geredet.« Jarek richtete sich auf. »Ich hab deinem Vater nichts getan. Ich hab ihn nur für ein bisschen Geld nach Hause gebracht. Und das ist nicht das Schlimmste von der Welt, was ein Mann tun kann.Aber ich bin auch nicht besonders stolz darauf. Ich weiß, ihr haltet Carlsbad für was Besonderes, aber das Pferd ist nicht zuverlässig. Es ist launisch. Der kann euch abwerfen, wenn ihm ein Eichhörnchen über den Weg läuft. Ihr solltet Boschena nehmen.« Er öffnete eine Box und führte eine ältere Stute heraus. »Sie ist das beste Pferd im Stall, auch wenn sie nicht so aussieht. Sie ist die Klügste und die Vertrauenswürdigste. Man könnte auch sagen, dass sie und ich Freunde sind. Sie ist nicht schnell, aber beständig. Und sie weiß, wo du hinmusst«, sagte er mit einem Nicken zu Petra. »Das ist mehr, als du selber sagen kannst, stimmt’s? Oder weißt du, wie du zurück nach Okno kommst?«
    Petra sah ihn nur an.
    »Hab’s mir gedacht. Versprich, dass du gut auf sie aufpasst, und sie bringt dich nach Hause. Ich nehme nicht an, dass du sie zurückbringen kannst.« Er klopfte dem Pferd auf die Stirn. »Aber ich hab deine Familie gesehen. Ich glaube, ich gebe sie in gute Hände.«
    Neel seufzte und sprang von Carlsbad ab. »Du hast seltsame Freunde, Pet.«
    »Er ist nicht mein Freund«, zischte Petra durch die zusammengebissenen Zähne, während Neel auf Boschena stieg.
    »Komm schon«, sagte Jarek zu Petra mit einem Anflug von Humor. »Hat dein Vater dir nicht beigebracht, einem
geschenkten Gaul nicht ins Maul zu schauen?« Dann hob er sie in einer schellen Bewegung hoch und setzte sie hinter Neel.
    Boschenas samtige Lippen strichen über Jareks Hand. Ihre großen braunen Augen blickten vorwurfsvoll. Dann stellte sie die Ohren auf. Sie hörte es, bevor es die Menschen taten: den Klang sich nähernder Hufe.
    Ich möchte nicht den Tod von zwei Kindern auf dem Gewissen haben , sagte Jarek lautlos zu dem alten Pferd. Hilf ihnen. Er tätschelte Boschena sanft die Seite und sie galoppierte aus dem Stall.

Der Fuchs im Schnee
    NEEL LOCKERTE die Zügel und ließ das Pferd in Galopp fallen. Sie hatten den Wald fast schon erreicht, als sie das Dröhnen vieler Hufe hinter sich hörten. Ein Trupp von ungefähr zwanzig Burgsoldaten zu Pferd verfolgte sie und fegte den verschneiten Berg herunter.
    »Ich bin erstaunt, dass es nicht mehr sind«, sagte Neel, als ob nichts sie aufhalten könnte.
    »Also, ich finde, das sind viele!« Petra zog den Wespenschwarm aus ihrer Tasche.
    Neel drehte sich um. »Oh nein.« Er blickte auf Petras Hand. »Nicht noch eines von diesen Dingern. Erst sprengst du uns alle fast in kleine Stückchen. Dann versuchst du, uns zu ertränken. Und mir gefällt ganz und gar nicht, wie das da aussieht.«
    »Mir auch nicht«, gab sie zu. Aber was hatten sie für eine Wahl? Sie wartete, bis die Burgsoldaten nahe genug herangekommen waren, dass sie sie mit ihrem Wurf erreichen konnte, aber noch weit genug entfernt, um etwas Abstand zwischen ihrem Pferd und der Katastrophe (welcher
Art auch immer) zu haben, die der Wespenschwarm auslösen würde. Petra warf, und sie trieben Boschena an, noch schneller zu werden.
    Hinter ihnen ertönte Gebrüll, und Pferde wieherten in Panik, als ein lautes Summen die Luft erfüllte. Petra konnte nicht anders, sie musste zurückblicken. Eine Wolke von Insekten griff die Männer an. Wespen krabbelten unter Helme. Sie stachen in jeden Flecken unbedeckter menschlicher Haut, den sie finden konnten. Sie stachen die Pferde, die ihre Herren abwarfen, wild wurden, den Boden stampften und buckelten.
    Petra und Neel verschwanden zwischen den Bäumen. Neel ließ Boschena zwar im langsamen Schritt gehen, doch er führte sie geschickt tiefer in den Wald, suchte den Boden aus, auf den wenig Schnee gefallen war, weil er

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