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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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verschwand sofort in Petras Haaren. Petra war drauf und dran, diese graziöse schreckliche Dame aus dem Laden zu weisen, als ihrVater sagte: »Leider ist sie unverkäuflich. Sie gehört meiner Tochter jetzt schon sechs Jahre.«
    »Ich bin bereit, einen sehr guten Preis dafür zu bezahlen.«

    »Es tut mit sehr leid, mich wiederholen zu müssen. Sie ist unverkäuflich.«
    »Ich würde sogar noch mehr bezahlen. Ich weiß, wie Ihr Kunsthandwerker das so macht. Ihr tut alles, um den Preis hochzutreiben.«
    »Vielleicht kann ich Euer Interesse auf etwas anderes lenken? Eine Spieluhr vielleicht?«
    Sie wedelte mit ihrer behandschuhten Hand. »Davon habe ich schon genug.«
    »Aber ich bezweifele, dass Ihr einen Musenkasten habt. Petra, zeig ihn ihr.«
    Petra holte sich einen Schemel, um an die Reihe mit den Musenkästen auf dem obersten Bett zu kommen. Sie stieg wieder herunter und reichte der Frau einen.
    »Sie spielt, was immer Euch zu hören guttut«, sagte Mikal Kronos und nickte seiner Tochter zu. »Mach weiter, Petra.«
    Petra öffnete den Kasten. Er spielte ein fröhliches Tanzlied mit einer Flöte und zwei Fiedeln. Petra brauchte einen Augenblick, bis sie die Melodie erkannte. Das Lied hieß »Die Heuschrecke«. Als Petra neun oder vielleicht zehn Jahre alt war, hatte sie es am Abend des jährlichen Maifeuers gehört. Seitdem Okno die Schwarze Pest vor Jahrhunderten überlebt hatte, zogen die Männer des Orts jedes Jahr am ersten Mai in den Wald, fällten den größten Baum, den sie finden konnten und trugen ihn durch die Straßen. Alle anderen folgten in einem langen Zug, und eines der Kinder wurde ausgewählt, während des Umzugs auf dem Baum zu reiten. Wenn der Zug auf dem Marktplatz ankam,
wurde das Maikind auf den Boden gehoben und bekam eine Fackel übereicht, mit der es das große Feuer anzündete, sobald der Baum in Stücke gehackt war. Als Petra hörte, wie die Spieluhr »Die Heuschrecke« spielte, fiel ihr wieder ein, wie alle getanzt hatten, nur sie nicht. Sie sah zu, wie der Baum des Lebens brannte, und war wütend darüber, dass sie wieder einmal nicht zum Maikind erkoren worden war. Erst als ihr Vater sie dann zum Tanz aufforderte, vergaß sie ihre Enttäuschung.
    Petra machte den Kasten wieder zu.
    »Diese Musik bedeutet mir nichts«, sagte die Frau und wandte sich zum Gehen.
    »Meine Tochter hat den Deckel gehoben. Versucht es selbst, meine Dame.«
    Mit einem amüsierten, ungläubigen Blick hob die Frau den Deckel an. Eine schnelle sehnsüchtige Melodie entströmte dem Kasten. Petra kannte sie nicht.
    Die Frau lauschte und blickte ins Leere.
    »Das ist keine tschechische Weise«, sagte Petras Vater. »Ich glaube, das ist ein englisches Lied, das ›Greensleeves‹ heißt.«
    Die Frau schloss den Deckel. »Ich kenne das Lied, doch ich wünsche es nicht zu hören.«
    »Der Kasten spielt, was Euch guttut zu hören, nicht was Ihr hören wollt.«
    Die Augen der Frau glänzten. Sie schickte den Lakaien aus dem Laden und zahlte dann viel mehr als den verlangten Betrag für den Musenkasten. Und als sie das »Haus zum Kompass« verließ, umklammerte sie den Kasten mit beiden Händen.

    Als Petra ihrem Vater am Abend eine gute Nacht wünschte, umarmte sie ihn und sagte: »Weißt du, ich hab dich sehr lieb!«
    »Ich weiß«, sagte er und legte ihr die Hand auf die zerzausten Haare.
    »Weißt du … Hast du gehört, dass es letzte Woche Sand geregnet hat? Mit Donner und Blitz an einem sonnigen Tag?«
    »Ach ja?« Seine Stimme klang gleichgültig, doch irgendwie gespielt.
    »Machst du dir keine Sorgen?«, flüsterte sie.
    Er antwortete nicht gleich, und Petra sah, dass er sich sehr wohl Sorgen machte. Er versuchte aber noch immer, seine Tochter davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. »Wenn der Prinz das verursacht hat, dann bedeutet das nur, dass er die Macht der Uhr noch immer nicht beherrscht. Vielleicht war er in der Lage, das letzte Teil bis zu einem gewissen Grad zusammenzusetzen. Das ist möglich. Blitze hervorzubringen, ist eine der leichtesten Aufgaben für die Uhr. Aber ich habe die Uhr auf keinen Fall so konstruiert, dass sie Sand regnen lässt. Das bringt mich zu der Annahme, dass er das letzte Teil nicht ordentlich zusammengebaut hat.«
    »Aber er versucht es.«
    »Petra.« Die Stimme ihres Vaters wurde sehr ernst und er griff nach ihren beiden Schultern. »Die Uhr geht uns nichts mehr an.Verstehst du?«
    »Ja.« Die weißen Verbände stachen ihr ins Auge. Sie nickte, obwohl sie wusste, dass

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