Das Kabinett der Wunder
entschied Meister Kronos, dass er die restlichen Zinntiere nur noch an Familie und Freunde verschenken würde.
Als er seiner Nichte Dita eines anbot, sagte sie jedoch: »Nein danke, Davids Stella reicht mir.«
Josef überraschte sie alle damit, dass er sich eine Maus aussuchte. Er tauchte mit seiner großen Hand hinab und schaufelte die Maus mit den kleinsten Pfoten und dem
längsten Schwanz herauf. »Ich danke dir sehr.« Josef steckte die Maus in seine Tasche und erzählte niemandem, welchen Namen er ihr gab.
Petra fragte Mikal Kronos, ob sie den letzten Welpen Tomik geben könnte, und er war tatsächlich einverstanden. »Ich weiß nur nicht, ob er mit Jaspar klarkommt«, warnte ihr Vater sie.
Petra hatte Tomik schon eine ganze Weile nicht gesehen. Beide mussten sie tagsüber arbeiten, und am Abend war er damit beschäftigt herauszufinden, wie man die Schwachstelle der Sorgenfläschchen beheben und wie ein funktionierendes Paar Augen für Petras Vater gemacht werden könnte. Tomas Stakan hatte schließlich eingewilligt, dass sein Sohn ihm beim Gestalten der Augen half, doch die beiden hatten kein Glück. Zwei weitere Lederbeutel lagen bereits neben dem ersten auf Mikal Kronos’ Nachttisch.
Als Petra mit dem Welpen zum Feuerhaus ging, schnüffelte das Tierchen in den Wind, sabberte grünes Öl, als es eine Taube sah, und zockelte kreuz und quer, um in einen Laden oder in eine Gasse zu blicken. Petra war froh, dass sie daran gedacht hatte, es an die Leine zu nehmen.
Der Weg zum Laden der Stakans schien ewig zu dauern, doch als sie ankam, wurde sie durch Tomiks entzücktes Gesicht belohnt, als der Welpe sich in seine Arme kuschelte. Er nannte das Hundemädchen Atalanta.
Bald hatten sie alle Tiere vergeben. Einige Leute, wie zum Beispiel der Bürgermeister, waren verschnupft, dass sie kein solches Geschenk von Meister Kronos erhalten hatten. Doch diejenigen, die eine der Zinnkreaturen in Empfang
nehmen konnten, achteten sie wie einen Schatz und behandelten sie ebenso liebevoll wie ein Baby, und genau das war es, was Meister Kronos sich gewünscht hatte.
Eines Tages, als Petra das erste herabgefallene Blatt fand, das wie eine Kupferflocke auf dem Boden lag, verbrachte Meister Kronos alle freie Zeit im Laden damit, seine Tochter nach den Eigenschaften von Metall zu befragen. Sie gab sich große Mühe, es gut zu machen. Zunächst fielen ihr die mehr allgemeinen Eigenschaften ein, wie zum Beispiel die Fähigkeit von Metall, Wärme und Kälte zu leiten. Doch sie erinnerte sich auch schnell an Arten von Metallen, die nicht viele Menschen kannten, weil nur ihr Vater sie entdeckt hatte. Astrophil saß auf Petras Schulter. Er kannte die Antworten auf alle Fragen, und manchmal hüpfte er ungeduldig auf und ab, wenn Petra zu langsam war, doch es war ihm verboten worden, die Antwort selbst zu geben.
»Wann ist Eisen am gefährlichsten, Petra?«
»Wenn es einen Groll hegt.«
»Gut. Wie bringst du Metall bei, keine Angst vor dem Feuer zu haben?«
»Man muss ihm etwas vorsingen.«
»Welches Metall hat angeblich das beste Erinnerungsvermögen?«
»Silber.«
»Warum?«
»Weil es immer noch in den Mond verliebt ist. Es versucht, in jeder Beziehung so zu sein wie der Mond.«
»In jeder Beziehung?«
»Na ja, außer …«
Die Ladentür öffnete sich und eine vornehm gekleidete Dame trat ein. Als ihr Blick auf Petra und deren verstrubbelte Haare und auf Meister Kronos mit seinen Verbänden fiel, bereute sie es sofort, hereingekommen zu sein. Petra konnte es daran erkennen, wie ihre rosa Blütenblättern gleichen Lippen zuckten. Ein Lakai kam hinter seiner Herrin her und schaute sich verächtlich im Laden um.
Der glockenförmige Rock der Frau glitt über den rauen Holzboden. Petra hörte das leichte Klacken kleiner Schuhe, die extra so gemacht wurden, dass sie sich auf genau diese Art anhörten. »Guten Tag«, sagte Petra.
Die Frau erwiderte den Gruß nicht. »Ich habe gehört«, sagte sie mit einer Stimme, die so leicht und zart wie Porzellan klang, »dass Ihr Silbertiere verkauft.«
»Zinn, meine Dame«, antwortete Petras Vater. »Doch leider sind keine mehr da.«
»Könnt Ihr keine mehr machen?«
»Wie Ihr seht, meine Dame, kann ich das nicht.«
Sie sah Meister Kronos wieder ins Gesicht. Dann wandte sie sich eindeutig verstimmt Petra zu. Plötzlich verengten sich ihre Augen, denn sie hatte Astrophil erblickt. »Aber was ist das? Eine Zinnspinne? Also habt Ihr doch noch ein solches Tier übrig.«
Astrophil
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