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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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widerwärtige Arbeit übernehmen.« Sie presste die Lippen zusammen, als sie Petras Verblüffung bemerkte, und sagte gereizt: »Kristof lässt Dinge verschwinden, das ist sein Talent. Natürlich hat es seine Grenzen, wie alles sonst auch. Er kann nur Lebendiges verschwinden lassen, doch ich kann dir versichern, das ist schon genug. Nehmen wir mal an, er würde dich verschwinden lassen wollen. Dann müsste er einen Pinsel machen, in dem auch eine Strähne von deinem Haar enthalten ist, und Farbe, die mit deinem Blut vermengt ist. Damit würde er dein Bild malen. Da die Leute ihr Blut nicht gerade herumliegen lassen, gibt es nur eine bestimmte Anzahl von armen, dummen Menschen, die er malen kann. Dem Himmel sei Dank.«
    Petra dachte an Kristof, seine unverschlossene Tür und seine freundliche Art. Sie dachte dran, wie der Prinz ihren Vater so getäuscht hatte, dass der dachte, er wäre sein Freund. Wenn man wissen wollte, wie einfach es ist, Böses zu übersehen, es anders einzuschätzen, Petra könnte es einem sagen: Es ist die einfachste Sache der Welt.

    Die Diener der Salamanderburg hatten einen Tag im Monat frei. Petra erwartete ihren ersten freien Tag sehnsüchtig, doch dann kam er früher als erwartet. Sie erhielt eine Art von Krankentag, doch nicht sie war krank geworden, Iris hatte einen Säureanfall.
    Eines Morgens öffnete Petra die Tür zur Färberei und sah etwas höchst Eigenartiges. Fußabdrücke waren in den Steinboden geschmolzen. Die pfützenähnlichen Vertiefungen gingen von der hellen Seite des Raums aus und verschwanden in der dunklen Hälfte, wo ein Teil des Samtvorhangs weggebrannt war.
    »Iris?«, rief Petra. »Bist du da? Geht es dir gut?«
    »Natürlich bin ich da!« Iris versteckte sich hinter den Überresten des schwarzen Vorhangs - nackt, wie Petra vermutete. »Ich bin nur wütend geworden.«
    »Aber du bist doch immer wütend.«
    »Das ist was anderes!« Petra hörte ein Schnauben wie bei jemandem, dessen Taschentuch sich gerade zersetzt hatte. »Wenn ich unheimlich wütend oder deprimiert bin, stellt meine Haut Säure her, so viel wie die beste Kuh deiner Großmutter Milch gibt.«
    Petra entschied sich dafür, nicht zu erwähnen, dass sie weder eine Großmutter noch eine Kuh hatte. Sie machte sich Sorgen um Iris, weil es sicherlich nicht so besonders lustig war, nackt hinter einem Vorhang auf einem Stuhl aus Adamantine festzusitzen. »Also bist du nun wütend oder traurig?« Es war nicht so schwierig, die Antwort auf diese Frage zu erahnen, da Petra etwas mehr als ein rotziges Schniefen gehört hatte. Doch sie meinte, sie sollte fragen.

    »Ich bin beides!« Iris hämmerte auf die Lehne ihres Stuhls. »In dem Augenblick, als ich diesem Stacheltier von Hortensia ihr Haarfärbemittel gegeben hab, was glaubst du, passiert da? Ich sag’s dir: Sechsundzwanzig ihrer engsten Freundinnen und Feindinnen kommen hier reinmarschiert und wollen genau dieselbe Farbe! Sechsundzwanzig! Können die sich nicht denken, dass sie drauf und dran sind, wie eine Reihe völlig gleicher schrulliger Osterglocken auszusehen? Nein! Warum bloß wird der Hof immer mehr zu einem Spielplatz für Techtelmechtel zwischen den reichen Magie- und Hirnlosen?«
    Petra wusste die Antwort ebenso wie Iris: Diese Leute wussten nicht, wo sie sonst hingehen konnten. Wenn adlige Kinder das Examen der Akademie nicht bestanden, packten sie ihren Plunder und gingen direkt zur Salamanderburg. Dort versuchten sie gewöhnlich, sich gegenseitig unglücklich zu machen, eine angemessene Hochzeit in die Wege zu leiten und sich mit Trinken und Tanzen zu amüsieren. Nach Iris’ Äußerungen zu urteilen, hatten die in der Akademie ausgebildeten Forscher des Denkerflügels offensichtlich nur wenig Nachsicht mit den jungen Höflingen.
    »Und ich bin mit der Erfindung der neuen Grundfarbe nicht weitergekommen! Für die Vorbereitung auf das Fest muss sie fertig sein, damit wir die Farbe verwenden können, um die Kleider des Prinzen zu färben. Ich habe Prinz Rodolfo versprochen, dass die Farbe bald zur Verfügung steht. Warum war ich nur so zuversichtlich?« Das letzte Wort war nur noch ein beschämtes Seufzen.
    Astrophils Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Was für eine
Primadonna. Man könnte gerade denken, dass die ganze Welt nur um ihre Erfindung kreist.
    Petra konnte seinen Standpunkt nachvollziehen, doch sie hatte Mitleid mit Iris. Ihr war klar, wie leicht es passieren kann, zu viel Gefühl in ein Projekt zu legen. »Mach dir mal keine

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