Das Kabinett der Wunder
wenn er dir nicht wirklich helfen wollte?
Petra hasste es, wenn Astrophil im Recht war, und das war er ziemlich oft. Trotzdem drehte sie sich um und rannte zurück, um Neel einzuholen. Der Junge sah sie an, schaute wieder weg und schob den Schubkarren weiter bis zu einer Ecke des Geländes, wo er trocknen sollte, um später als Düngemittel verkauft zu werden.
»Wenigstens ist es nicht heiß«, versuchte es Petra. Sie war so lange nur in der Burg gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, wie sich das Wetter verändert hatte. Die Luft war frisch genug, dass ihre Nasenspitze kalt wurde. Ein kräftiger Wind wehte über den staubigen Boden. »Im Sommer muss der Gestank ziemlich schlimm sein. Und die Fliegen.«
Neel kippte den Pferdemist auf einen großen Haufen. »Also sollte ich eigentlich dankbar sein, oder wie?«
Vielleicht kannst du ein erfreulicheres Thema finden, als ausgerechnet über Mist zu reden , schlug Astrophil vor.
Petra zog das Notizbuch ihres Vaters unter dem Hemd hervor, wo sie es in den Rockbund gesteckt hatte. »Neel, ich hätte gerne, das du etwas für mich tust. Das hier ist
eines der wertvollsten Dinge, die ich habe. Es soll nicht gefunden werden, doch ich habe keine gute Stelle, um es zu verwahren. Würdest du das bitte für mich verstecken? Sonst gibt es doch niemanden, dem ich trauen kann.« Sie streckte ihm das Buch hin.
Er wischte sich die Hände an der Hose ab und nahm es. Dann blätterte er durch die Seiten. »Das ist ja nur ein Haufen von Symbolen und Zeichnungen.«
»Es gehört meinem Vater und es hat mit der Uhr zu tun. Ich versteh nicht richtig, was das alles zu bedeuten hat, aber es könnte wichtig sein. Ich glaube nicht, dass der Prinz weiß, dass es das gibt, aber wenn er es wüsste« - Petra holte tief Luft -, »würde er wahrscheinlich alles tun, um es zu bekommen.«
Petra wusste, dass sie ein Risiko einging. Wenn es stimmte, was ihr Vater gesagt hatte, wenn der Prinz wirklich nicht wusste, wie er mit der Uhr umgehen sollte, dann konnte das Buch tatsächlich sehr wertvoll für ihn sein. Sie konnte es nicht in ihrem verschlossenen Kasten lassen, denn sie war sich sicher, dass die Kästen der Dienerschaft regelmäßig vom Haushofmeister durchsucht wurden. Wenn Harold Listek das Notizbuch fand, würde er vielleicht nicht auf den Gedanken kommen, dass es wichtig wäre, aber wenn er doch darauf kam …
Petra hoffte, dass Neel es verstecken würde. Das Vertrackte daran war nur, dass Neel jetzt wusste, wie wichtig das Buch für den Prinzen war, und er nun vielleicht versuchen würde, es ihm für den Gegenwert von einigen Pferden zu verkaufen.
Neel blickte sie an. Sie konnte genau denselben Gedanken in seinen gelbbraunen Augen lesen. Er senkte den Blick und guckte wieder auf die Seiten. Dann hob er eine Augenbraue. »Oh.«
»Was ist?«, blaffte sie. Sie hätte ihm das Buch nie zeigen dürfen. Was machte es für einen Sinn zu versuchen, das Vertrauen von jemandem zu gewinnen, dem man nicht trauen konnte?
»Dein Vater versteht die Bedeutung von Null.«
»Was?« Sie blickte ihm über die Schulter, um zu sehen, welche Seiten sein Interesse geweckt hatten. Da waren Gleichungslinien. Ach, diese Seite, dachte sie. »Was heißt ›Null‹, ist das ein Wort aus dem Romani?«
»Das ist eine Null.« Er zeigte auf ein Symbol, das aussah wie der Buchstabe O. »Du kennst doch die Zahlen, oder? Eins, zwei, drei, vier...«
»Ja.« Sie starrte ihn wütend an.
»Also null kommt vor eins.«
Das war bestimmt falsch. »Nichts kommt vor eins.«
»Das genau ist der springende Punkt.« Er fuhr sich durchs Haar und blätterte um.
Petra ballte erbittert die Fäuste.
Astrophil sprach laut und deutlich, an Neel gewandt: »Willst du damit sagen, dass die Null bei Berechnungen als Platzhalter dient? Dass sie für das Nichtvorhandensein steht?«
Neel nickte. »Aber die Gadsche verwenden sie nicht. Es ist dumm, das nicht zu tun. Ohne sie kann man keine verzwickten Rechnungen lösen.«
»Verstehst du, was die Gleichungen bedeuten?«, fragte Astrophil.
»Nein, aber ich vermute, dass Petras Vater versucht hat, Energie zu messen und nicht Holzklötze.«
Petra war sprachlos. Es war nur gut, dass Astrophil das Reden übernommen hatte.
»Woher weißt du das alles?«, fragte die Spinne.
Neel zuckte mit den Schultern. »Die Null kommt aus derselben Gegend wie mein Volk. Selbst wenn nicht, dann hätten wir sie unterwegs aufgelesen. Das ist eine hübsche Idee. Das Beste daran, überall herumzuziehen,
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