Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
demGraben, der die Straße flankierte, kamen sie nicht schneller als mit dreißig Stundenkilometern voran. Zumindest schneite es nicht. Der Himmel war wolkenlos und das Wetter milder als in Kabul. Gegen sieben Uhr abends musste Osama einsehen, dass sie unmöglich im Dunkeln weiterfahren konnten, sie riskierten jeden Augenblick, einen Abhang hinunterzustürzen. Widerwillig bat er Kukurs Sohn, anzuhalten. Sie verriegelten ihre Türen, rollten sich nach einem kleinen Imbiss in ihre Schlafsäcke und bereiteten sich auf die Nacht vor.
Aufmerksam lauschte der Händler dem Bericht des Jungen, der bisweilen in seinem Auftrag Kunden verfolgte. Die Informationen gab der Händler eifrig weiter – entweder an die Taliban oder an den NDS. Der Mann, der das Scharfschützengewehr gekauft hatte, war zuerst wieder zu seinem Kameraden gegangen, dann hatten sie einen weiteren Mann getroffen, vor dem Hauptkommissariat. Sie waren in einen verbeulten Geländewagen eingestiegen und in Richtung Süden losgefahren. Der Junge hatte einen Motorradfahrer am Straßenrand für ein paar Afghanis angeheuert, dem Geländewagen unauffällig zu folgen. An der Einfahrt eines Feldwegs hatte der Motorradfahrer den Geländewagen aus den Augen verloren, dreißig Kilometer südlich von Kandahar.
Der Händler breitete eine Karte aus. Er war überrascht, welche Richtung sein Kunde eingeschlagen hatte. In jener entlegenen Gegend gab es ein paar Weiler, so winzig, dass niemand es für nötig hielt, ihnen einen Namen zu geben. Wenn die Reisenden diesen Weg nahmen, waren sie auf sich selbst gestellt. Sie würden den Richtungsangaben der alteingesessenen Landbevölkerung folgen müssen, Anweisungen wie: »Nach dem vierten blauen Berg, hinter der Schlucht auf der linken Seite der Straße, stößt man auf einen Weg. Nach zwanzig Stunden Wegstrecke kommst du über eine Furt, das Dorf liegt auf der Rechten, an einem anderen Weg, in drei Stunden Wegstrecke.«Er schüttelte den Kopf. Was diese Reisenden wohl dort vorhatten? Der Riese, der ihm das Scharfschützengewehr abgekauft hatte, war daran gewohnt, Befehle zu erteilen, das hatte er gleich erkannt, seine gebieterische Art duldete keinen Widerspruch. Der Mann hatte die Autorität eines Talibanherrschers, aber er trug den Bart kurz und gepflegt. Er fühlte sich nicht wohl mit seinem Turban, als hätte er ihn extra für diese Gelegenheit aufgesetzt. Der Händler überlegte, ob es sich um einen Agenten des NDS handeln könnte, doch er besaß nicht deren unerträgliche Arroganz, vermutlich war er ein Funktionär. Seine Kleidung war sauber, seine Hände wiesen keine Schwielen auf. Ein Schmuggler? So wirkte er nicht. Außerdem sprach er Paschtunisch mit einem leichten Dari-Akzent. Der Händler musste eine Entscheidung treffen: Entweder behielt er die Information für sich, oder er zeigte den Mann beim NDS an, oder er informierte die Taliban. Drei vollkommen unterschiedliche Optionen. In den letzten Monaten hatte er viele an den NDS verraten. Allerdings gewannen die Taliban jeden Tag größeren Einfluss in der Region, da konnte es sich auszahlen, wenn man sich ihnen andiente. Wenn dieser geheimnisvolle Mann weder ein Schmuggler noch ein Geheimagent war, dann war er vielleicht ein Spion der Internationalen Schutztruppe. Die Taliban wären hocherfreut, einem Verräter dieses Kalibers die Kehle durchzuschneiden. Er zog einen
Patou
über und setzte einen Turban auf und begab sich eilig zu einer kleinen Moschee in der Nähe seines Ladens.
Der Mullah, der ihn empfing, war jung, er hatte blaue Augen, sehr helle Haut und helle Haare – wie man sich einen Engländer vorstellte. Doch damit hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf, denn der Mullah war ein Fanatiker. Alle Welt wusste, dass er in Kandahar gegen Ende des Talibanregimes schreckliche Grausamkeiten begangen und Menschen, die eines Verstoßes gegen islamisches Recht angeklagt waren, grausam exekutiert oder verstümmelt hatte. Nach 2001 war er, wie so viele, nichtverhört worden, sondern hatte sich in seine Moschee geflüchtet. Obwohl sie von seinen Gräueltaten wussten, gingen die Polizisten und Militärs ihm aus dem Weg, und die Offiziellen des Regimes hörten über seine zornentflammten Predigten hinweg. Der Händler erzählte ihm seine Geschichte, unterstrich dabei das gepflegte Aussehen seines Besuchers und die guten Kenntnisse, die er über Waffen besaß.
»Wie hat er dich bezahlt?«, fragte der Mullah. »In Afghanis oder in Dollars?«
»In
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