Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
jungen Mann.
»Hörst du mich?«
»Ja«, antwortete er mit schwacher Stimme.
»Was hast du? Wir können dich nach Kabul bringen.«
»Es ist zu spät. Ich werde bald sterben.«
»Was hast du?«, wiederholte Osama und fürchtete, die Antwort bereits zu kennen. Das abgezehrte Gesicht, das Fieber, der Allgemeinzustand des Mannes – alles erinnerte ihn nur allzu deutlich an Krankheitsfälle, die Malalai ihm geschildert hatte.
»Eydz«,
flüsterte der junge Mann.
Aids. Der Junge kam wieder zu Atem und griff nach Osamas Hand. In Anbetracht seines Zustandes verfügte er über eine erstaunliche Kraft.
»Ich habe es mir in Kabul eingefangen. Es ist aus für mich.«
Osama ließ seine Hand in der seinen. Sie war kochend heiß. Homosexualität war strengstens verboten in Afghanistan, wie in allen islamischen Ländern, dennoch wurde sie von vielen jungen Männern praktiziert, weil es so schwierig war, vor der Heirat mit jungen Frauen in Kontakt zu kommen. Da es jedoch niemand zugab und die Mullahs gegen den Gebrauch von Präservativen wetterten, die nur Ungläubige verwendeten, konnte sich das Virus leicht ausbreiten. »Was wollen Sie?«, fragte der junge Mann mit heiserer Stimme.
»Das, was Wali Wadi dir gegeben hat.«
»Wo ist er? Warum holt er es sich nicht selbst?«
»Er wurde ermordet. Ich bin mit den Ermittlungen beauftragt. Man hat ihn wegen des Dokuments getötet, das ich suche.«
»Wali ist tot?«
»Ja. Es tut mir leid, diese Nachricht überbringen zu müssen.«
Der junge Mann lag reglos da, wie vom Blitz getroffen, dann begann er leise zu wimmern.
»In meiner Tasche, dort drüben«, flüsterte er dann undeutlich. »Es ist eine CD-ROM.«
Osama fand sie sofort. Auf der Hülle stand in westlicher Schrift:
Bestandteile Akte Mandrake
.
»Die hier?«
»Ja.«
»Weißt du, was drauf ist?«
»Nein, ich habe sie nie angerührt.«
»Viele Menschen sind bei dem Versuch, in ihren Besitz zu gelangen, gestorben.«
Der junge Mann stöhnte und schloss die Augen. Osama steckte die CD ein, drückte dem Jungen ein letztes Mal die Hand und erhob sich. Als er bereits an der Tür war, hörte er eine schwache Stimme fragen:
»War Wali … auch krank?«
Osama dachte an den HIV-Test, den sein Freund Katun durchgeführt hatte.
»Nein. Er war gesund. Von ihm hast du diese Krankheit nicht.«
Ein Lächeln schien über das Gesicht des Sterbenden zu huschen. Draußen war es bereits dunkel geworden. Abdullah und Rangin kamen herein, angespannt und unruhig.
»Und, was ist?«
Osama holte die CD hervor. »Wir haben, wonach wir suchen.«
»Was ist da drauf?«
»Ich habe keine Ahnung«, gestand Osama. »Wir braucheneinen Rechner, um das in Erfahrung zu bringen. Das machen wir in Kandahar, bei deiner Mutter.«
»Sollen wir gleich aufbrechen?«, fragte Abdullah.
Osama sah zum Himmel, an dem die ersten Sterne funkelten. Nachts auf den Straßen zurückzufahren, die sie hergeführt hatten, war kompletter Wahnsinn.
»Wir werden hier im Dorf übernachten«, beschied er. »Im Morgengrauen brechen wir auf.«
Der Anführer des Dorfes bezeugte gestenreich seine Freude, als sie ihm ihre Entscheidung verkündeten, bei ihm übernachten zu wollen. Während sie ein Stück abseits warteten, reinigten zwei Frauen das Gästezimmer, eine dritte setzte Wasser auf. Es wurden ihnen weichgekochte Eier, Brot und Joghurt mit Kräutern serviert. Das Brot enthielt kleine Kiesel, denn es war nur grob gemahlen worden, zweifellos mit einer Steinmühle. Das Brot war voller Getreidekäfer, die unter den Zähnen knirschten, doch Rangin und Abdullah hatten großen Hunger und aßen mit herzhaftem Appetit, was dem Dorfanführer sichtlich Freude bereitete. Osama musste an den jungen Mann denken, der ein paar Häuser weiter im Sterben lag, er rührte seinen Teller kaum an. Ein Nachbar kam herein und flüsterte dem Dorfanführer etwas ins Ohr, während der Tee serviert wurde.
»Der Junge ist gerade gestorben.«
Als Osama aufstand, fragte der Anführer überrascht: »Wo gehst du hin?«
»Ich werde ihm die letzte Ehre erweisen.«
Der Mann lachte. »Nicht doch! Das war kein Mann, sollen die Frauen sich um ihn kümmern.«
Osama verließ wortlos das Haus.
Die Mutter des jungen Mannes zeigte sich erstaunt, als sie ihm die Tür öffnete. Eilends hängte sie ein Laken auf, um den Raum zwischen ihm und den anderen Frauen abzutrennen.
Osama kniete neben dem Lager nieder. Er sprach Verse aus dem Koran. Was hätte Wali Wadi zu diesem armseligen Hausgesagt, am Ende
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