Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
dann entführt und zu Tode gemartert hätten. Ihre leibhaftige Rückkehr war wie eine Bombe eingeschlagen, doch folgenlos geblieben.
Osama hatte insgeheim auf ein Wunder gehofft, als er die Überbleibsel der von der Springmine zerstörten CD den Leuten von der Spurensicherung übergeben hatte. Das Ergebnis war indes zweifelsfrei gewesen: Die Bruchstücke erwiesen sich als unbrauchbar. Der
Qoumaandaan
hatte vehement erklärt, von einer Drohne angegriffen worden zu sein und nicht von Taliban, doch es half nichts, es fehlten die Beweise. Die Wracks der beiden von den Geschossen zerstörten Wagen hatten sich in Luft aufgelöst, waren wahrscheinlich bereits an einen Schrotthändler verkauft worden.
Osama hatte eine mächtige politisch-militärische Maschinerie gegen sich aufgebracht, indem er die Verhaltensregeln missachtet hatte. Natürlich hatte er im Sinne der Ermittlung gehandelt, doch was unter dem Strich herausgekommen war, war erschreckend: Er hatte seine fünf besten Männer verloren, darunter seine beiden Assistenten, mehrere Unschuldige waren umgekommen, und die Akte Mandrake gab es nicht mehr. Mit einem Wort: Er hatte versagt.
Völlig versagt.
Als wäre dies nicht genug, hatte der Minister eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet, weil er sich den Dienstvorschriften widersetzt hatte. Bald würde man ihn suspendieren, kein Zweifel.
Er brütete gerade über seinem Fehlschlag, als es an seinerTür klopfte. Ein Junge überbrachte ihm einen Brief: der Bote Mullah Bakirs. Osama setzte sich, um den Brief zu lesen, der in eleganter Handschrift auf schönem Papier verfasst war.
Qoumaandaan,
mein Informant teilte mir mit, dass der Minister sich anschickt, einen Haftbefehl gegen Sie zu erlassen, der Ihnen in wenigen Stunden zugestellt werden wird. Der Minister bereitet diesen Schachzug seit mehreren Tagen vor. Er hat lediglich so lange gewartet, bis sein Kollege aus dem Justizministerium heute Morgen nach Europa geflogen, also außer Reichweite ist. Ein Staatsanwalt von Seinen Gnaden wird Ihren Haftbefehl unterzeichnen. Der Gegenstand der Anklage ist vielfältig. Zum einen klagt man Sie an, Kabul mit Ihren Männern verlassen und somit Ihren Kompetenzbereich überschritten zu haben, und zwar ohne einen entsprechenden Auftrag und auf einer Straße, die nicht zuvor von der Armee gesichert wurde; außerdem werden Sie des heimlichen Einverständnisses mit den Taliban bezichtigt, was erklären würde, weshalb Sie als Einziger zusammen mit Ihrem Kollegen Rangin mit dem Leben davongekommen sind.
Man wird Sie heimlich in Bagram inhaftieren, ohne dass irgendjemand Sie besuchen darf, ein Anwalt schon gar nicht. Zwei neue Assistenten werden Gulbudin und Babrak ersetzen. Der eine ist ein Turan aus Kandahar und steht dem Minister nahe, der andere ein Paschtune, der Sie verachtet. Die beiden haben den Auftrag, Ihre Abteilung gründlich »auszumisten«.
Widerstand zu leisten oder auf Ihre Unschuld zu pochen wäre in dem Fall völlig nutzlos.
Ich rate Ihnen, sich zu verstecken, bis wir etwas klarer sehen. Schicken Sie Ihre Frau aufs Land. Wenn Ihre Mittel zur Neige gehen, kann ich Ihnen schicken, was Sie brauchen, auch Waffen und Geld.
Verlieren Sie keine Zeit! Sie sind diesem Land nützlicher,
wenn Sie am Leben bleiben, statt in dem düsteren Verlies, das Ihnen bestimmt ist, ›unglücklicherweise‹ umzukommen.
Es bleibt noch Hoffnung. Kämpfen Sie!
Ihr Freund,
Mullah Muhammad Bakir
Die Botschaft war niederschmetternd, aber nicht überraschend. Schnell fasste Osama sich wieder. Er packte ein paar persönliche Dinge in eine Reisetasche, steckte das gesamte Geld ein, das in der ganzen Wohnung auf diverse Schatullen verteilt war. Eine Pistole, mehrere Ersatzmagazine, Granaten, seine treue Kalaschnikow, seinen Koran. Viel mehr besaß er nicht. Dann entriegelte er die Tür zur Rumpelkammer. Er schob einen Haufen Kartons beiseite, um an die rückwärtige Wand zu gelangen. Mit dem Messer kratzte er den groben Mörtel ab, der ein Geheimfach in einem hohlen Ziegel verdeckte. Darin lagen zwei usbekische Pässe, die er 1998 einem Händler abgekauft hatte, damals, als die Taliban unbesiegbar zu sein schienen. Der erste Pass war auf den Namen Hamid Kadenis ausgestellt, der zweite auf Malalai Kadenis. Nachdenklich betrachtete er das gefälschte Dokument seiner Frau. Er hatte ihr nie etwas von diesem Pass erzählt, er hatte ihr ein Foto abgeluchst, ihn heimlich anfertigen lassen und dann versteckt. Sie wusste nicht, dass er
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