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Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott

Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott

Titel: Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cédric Bannel
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Ihrer Männer zu der Brigade gehörten, die ihn festgenommen hat? Sie waren zu dem Zeitpunkt bei einem Einsatz in Herat.«
    Osama konnte sich an diese Einzelheit nicht mehr erinnern, erwiderte jedoch: »Meine Männer taten ihre Pflicht. Wenn er unschuldig ist, wird Tikrini vor Gericht freigesprochen werden. Niemand hat das Recht, Selbstjustiz zu üben. Auch wenn ich abwesend war, übernehme ich die volle Verantwortung für seine Verhaftung.«
    »Du würdest sie auch vor einem Gericht der Taliban übernehmen?«, fragte der Mullah, indem er plötzlich zum Du überging.
    »Ich bin ihr Chef, und somit trage ich die Verantwortung für das, was sie während ihrer Dienstzeit tun. Und vergessen Sie nicht, dass ich auch Sie verhaften lassen kann, wenn Sie michbedrohen, egal, ob Sie Freunde bei den Taliban oder beim NDS haben«, entgegnete Osama und spielte damit deutlich auf die zweideutigen Unterstützer Bakirs beim Geheimdienst an.
    Der Mullah lachte auf.
    »Kein Grund zur Aufregung, Bruder Osama. Ich will sehen, was ich tun kann. Kommen Sie morgen Vormittag wieder.«

4
    Nick hatte eine dicke Akte mit der Aufschrift »Top secret« vor sich. Es war diejenige, die bei dem flüchtigen Finanzchef gefunden worden war. Der General hatte ihn zu sich bestellt und ihm erstaunlicherweise den Auftrag gegeben, selbst eine Untersuchung durchzuführen, um den Gesuchten ausfindig zu machen. Er sollte allein arbeiten, ohne Vorgesetzte und ohne Untergebene, sollte allein seine Hirnwindungen anstrengen und »querdenken«. Dass er mit dieser Aufgabe betraut war, erstaunte Nick nicht über die Maßen. Was ihn allerdings erstaunte, war die Tatsache, dass er ganz allein arbeiten sollte, ohne ein Team. Außerdem hatte der General ihm weitere Informationen verweigert: etwa, weshalb die sogenannte Mandrake-Akte der Geheimhaltung unterlag und wer den Flüchtigen eigentlich suchte. Allesamt legitime Fragen, auf die Nick gern eine Antwort gehabt hätte, bevor er mit seinen Recherchen begann.
    Er stellte seine Fragen wohl oder übel vorübergehend zurück und blätterte in der Akte, die dem Flüchtigen gewidmet war. Sie bestand aus drei Teilen. Zunächst wurden seine Kindheit und sein Leben beschrieben, dann ging es um seine berufliche Tätigkeit, im dritten Teil fanden sich diverse Dokumente, die man nicht hatte zuordnen können.
    Seufzend begann Nick sich ernstlich in die Lektüre zu vertiefen.
    Der Flüchtige stammte aus einem kleinen Ort im Kanton Waadt. Man nannte ihn Léonard, zu Ehren seines Onkels, einesBäckers, der es nach Meinung der Familie zu etwas gebracht hatte. Sein Vater, ein mäßig erfolgreicher Mechaniker, hatte die Familie verlassen, als Léonard gerade acht Monate alt war. Daraufhin wurde er von seiner Mutter allein erzogen, bis diese bei einem Unfall in der Federnfabrik, in der sie angestellt war, umkam. Er war damals sechs Jahre alt. Bis zum Alter von achtzehn Jahren lebte er in einem Heim. Der Akte zufolge hatte er nie über diese Zeit gesprochen, man durfte daher annehmen, dass sie schwierig gewesen war. Die Fotos von damals zeigten einen schmächtigen Jungen mit Locken, dann einen Heranwachsenden, dessen schmales Gesicht hinter großen Brillengläsern verschwand. Ausgezeichnete Schulleistungen. Er studierte an der Universität Genf, dann in Princeton in den Vereinigten Staaten, wo er einen hervorragenden Abschluss in Betriebswirtschaft ablegte. Anschließend heuerte er bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young an, wo er mit nur zweiunddreißig Jahren zu einem der jüngsten europäischen Teilhaber wurde. Schon zu diesem Zeitpunkt bezog er ein Gehalt von dreihundertfünfzigtausend Schweizer Franken pro Jahr. Willard Consulting wurde auf ihn aufmerksam und machte ihm ein Angebot über vierhundertfünfzigtausend Franken. Er nahm an. Während der folgenden Jahre arbeitete er für Willard Consulting, zehn davon als Mitglied des Aufsichtsrats. Vor seinem Verschwinden war er Finanzvorstand der Unternehmensgruppe gewesen, mit anderen Worten: Er hatte Zugriff auf alles gehabt. Sein Jahresgehalt betrug eine Million Schweizer Franken, hinzu kam ein entsprechender Bonus. Darüber hinaus verfügte er über eine Gewinnbeteiligung an bestimmten Deals in einer Größenordnung von bis zu siebenstelligen Summen. Kurzum, er war ein reicher Mann. Privat führte er das Leben eines von seiner Arbeit besessenen, bindungsunfähigen Einzelgängers. Zahlreiche Menschen, die ihm etwas bedeutet hatten, waren früh gestorben, woher

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