Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
geben kann. Und genau das habe ich mir heute vorgenommen.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Osama beunruhigt.
»Ich war bei einer Versammlung von Frauen, auf Einladung des Kulturbeauftragten der französischen Botschaft.«
»Von diesem Schwein? Das ist ein Perverser und ein Ehebrecher! Letzten Monat hat er mit seinem gepanzerten Jeep einen Autobus gerammt, die Verkehrspolizei ist überzeugt, dass er betrunken war!«
»Er ist nicht pervers. Er hat uns von einem internationalen Hilfsprogramm für Frauen erzählt. Ich werde mich einschreiben, zumal ich in den Geheimrat der RAWA gewählt wurde.«
»Was?!«, rief Osama.
Die Revolutionary Association of the Women of Afghanistan war eine Geheimorganisation von Frauen, die für die Rechte der Frauen stritt, in Afghanistan, aber auch in Pakistan. Sie funktionierte wie diverse andere Widerstandsbewegungen: Die Mitglieder ihrer einzelnen Zellen kannten sich untereinander nicht, damit im Fall einer Verhaftung oder Entführung niemand denunziert werden konnte. Ihre Gründerin Meena war während der Amtszeit von Präsident Nadschibullah ermordet worden, und es war nie geklärt worden, ob die afghanischen Geheimdienste oder die Fundamentalisten für ihren Tod verantwortlich waren.
»Dank der Hilfe Frankreichs, Japans und Italiens werden wir neue Hilfsmittel von der UNESCO bewilligt bekommen, vielleicht auch von anderen internationalen Organisationen. Auf diese Weise gelingt es uns, weitere Erzieherinnen heranzubilden, die den Frauen überall im Land einschärfen, dass sie die Tyrannei der Männer nicht dulden dürfen. Wir werden uns unsere Rechte im Alltag erkämpfen und selbständig zu denken beginnen. Wir haben beschlossen, den Kampf aufzunehmen, damit unsere Töchter auf dem Land eine Schule besuchen und aufs Gymnasium gehen können.«
»Du bist ja verrückt! Vollkommen verrückt! Die Taliban werden dich umbringen, wie Meena. Sie werden dich erstechen. Oder, schlimmer noch, vergewaltigen.«
»Das ist doch wieder mal ein kluges Wort von einem modernen, gebildeten Mann: Vergewaltigt zu werden ist schlimmer, als sich töten zu lassen? Bist du heute absichtlich so beschränkt?«
»Dreh mir nicht das Wort im Mund um. So etwas darfst du nicht tun!«
»Du bittest mich also, das Unannehmbare zu akzeptieren?«
»Das ist nun mal unsere Kultur, unsere Art, zu leben. Es ist eben so. In Afghanistan tragen Frauen schon immer Tschador und Burka.«
»Das stimmt nicht! Das war nicht immer so. Zu Zeiten Sahir Schahs war es nicht so! Und als die Khalq-Partei das Sagen hatte, auch nicht.«
»Du warst noch ganz jung, hör auf, von den Kommunisten zu reden, sie haben unser Land zerstört. Es ist alles ihre Schuld.«
»Die mittelalterliche Denkweise hat unser Land zerstört, Osama. Die afghanischen Frauen sind nicht dazu bestimmt, sich von ungebildeten Männern erniedrigen zu lassen. Meine Mission als gebildete Frau ist der Widerstand. Wenn ich das nicht tue, kann ich mich nicht mehr im Spiegel anschauen!«
»Du hast vollkommen den Verstand verloren. Du nimmst ein wahnwitziges Risiko auf dich. Außerdem kann es nur Unglückbringen, sich mit den
Kuffār
einzulassen. Nur zu leicht wird Allah dabei beleidigt.«
»Allah? Glaubst du etwa, Gott interessiert sich für unser Schicksal? Der kümmert sich nicht um uns, mein armer Osama. Schau dir an, in welchem Zustand dieses Land ist, überall nur Elend, Korruption, Gewalt und Trostlosigkeit.«
»Allahs Wege kennt nur er allein. Er hat seine Gründe, weshalb er uns so leiden lässt, es ziemt sich nicht, ihn verstehen zu wollen.«
»Unsinn. Du solltest weniger arbeiten und öfter mal nachdenken.«
Am nächsten Morgen stand Osama noch früher auf als sonst, um sicherzugehen, dass Malalai nicht vor ihm das Haus verließ. Beim Zubettgehen hatten sie erneut gestritten, obschon er zumindest erreicht hatte, dass sie ihm einen Kuss gab, bevor sie einschliefen. Diese Regel hatten sie sich selbst auferlegt, niemals einzuschlafen, bevor sie nicht Frieden geschlossen hatten. Gegen sechs Uhr sah er sie aus dem Badezimmer kommen. Sie war wie üblich gekleidet und trug eine weite Tunika aus blauer Baumwolle, einen schlichten
Karbaz
sowie ein Tuch, das ihre Haare bedeckte.
»Ich habe Tee gekocht und den Bohneneintopf aufgewärmt, wenn du möchtest.«
»Danke, ich nehme nur eine Tasse Tee.«
»Malalai, hast du über unser Gespräch gestern nachgedacht?«
»Über welches? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns über irgendetwas
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