Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Garage zum Gebet versammelten. Unmerklich schlich er sich zu Osamas Wagen und ließ sich daruntergleiten. Der Magnet war so stark, dass ihm die Wanze aus den Händen rutschte. Er überprüfte ihren Halt an der Karosserie, sie schien fest am Wagen zu kleben. Dann drückte er auf den Auslöser. Ein grünes Licht blinkte auf und verlöschte sogleich wieder. Mit ihrer Tarnfarbe war die Wanze, zudem vom Getriebe verdeckt, nicht zu erkennen. Befriedigt darüber, dass er sich so leicht eine neue Ehefrau verdient hatte, rappelte der Polizist sich wieder auf die Beine. Niemand hatte ihn gesehen.
7
Seit seinem Treffen mit Jacqueline hatte Nick ständig über ihre Unterhaltung nachgedacht. Vor allem ein Satz war ihm im Gedächtnis geblieben. Der Gesuchte hatte die Treffen mit Jacquelines Vorgängerin aufgegeben, weil sie Drogen nahm. Diese Information versuchte er in Einklang zu bringen mit derFrage, die er sich seit Beginn dieser Geschichte stellte: Was hatte der Vermisste in der verlassenen Fabrik zu suchen, inmitten der Junkies? Sein Geld hätte ihm doch ermöglicht, sich überallhin abzusetzen. Daher war ihm folgende Idee gekommen: Wenn er es nun darauf abgesehen hatte, Yasmina wiederzusehen, weil er ihre Hilfe brauchte?
Der Gedanke verfolgte ihn, wenngleich er noch nicht erkennen konnte, wohin er führte. Alles im Leben des Gesuchten war bis ins Kleinste geregelt. Doch auf einmal hetzte ihm das Unternehmen, dem er sich offenbar mit Leib und Seele verschrieben hatte, Auftragskiller auf den Hals. Wie durch ein Wunder entkam er ihnen. Seine Welt brach zusammen. Er musste fliehen. Doch wo sollte er Schutz suchen? Ihm fiel die Prostituierte ein, Yasmina, mit der er jahrelang eine Beziehung gepflegt hatte. Sie war drogenabhängig, lebte mit Hausbesetzern zusammen, in einer verrufenen, abseitigen Welt. Einem besetzten Gebäude. War dies nicht der ideale Ort, um sich zu verstecken? An einem solchen Ort würde niemand einen schwerreichen Banker vermuten …
Nick ging in ein Café und bestellte einen entkoffeinierten Kaffee. Das Problem war: Wo sollte er Yasmina suchen? Die besetzte Fabrik war inzwischen geräumt worden, und die Stadtverwaltung hatte anschließend die Eingänge zumauern lassen. Er trank aus und bestellte einen zweiten Kaffee. Diese Frau arbeitete seit über zehn Jahren als Prostituierte. Die Schweizer Polizei hatte mit Sicherheit eine Akte über sie angelegt. Er sah auf seine Armbanduhr. Heute Abend war es schon zu spät, er würde der Sache gleich am nächsten Morgen nachgehen.
***
Osamas kleines Haus wirkte traurig und verlassen ohne seine Frau, die noch immer Nachtdienst im Krankenhaus hatte. Er legte eine CD von Ahmad Zahir ein und bereitete Eier zu, die er in einer Kasserole zusammen mit ein wenig bereits gekochtemReis erhitzte. Die Unterredung mit dem Minister wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Die Art, wie Khan Durrani ihn – ohne es direkt auszusprechen – bedroht hatte, widerte ihn an.
Er hielt sich für einen loyalen Diener seines Landes, allen politischen Wechselfällen zum Trotz. 1992, als die Mudschaheddin Kabul eingenommen hatten, war er als Kommissar des 11. Polizeidistrikts angetreten. Man hatte ihn als Kriegshelden gefeiert. Der anschließenden Hexenjagd auf ehemalige prokommunistische Khalq-Mitglieder hatte er sich stets verweigert. Zahlreiche Kollaborateure der Russen, Menschen, die unter ihrer Besatzung gut gelebt hatten, wuschen sich rein, indem sie sich an der allgemeinen Lynchjustiz beteiligten. Häuser, Betriebe und Geschäfte wurden unter dem Deckmantel der Säuberung beschlagnahmt. Skrupellose Männer bereicherten sich binnen weniger Wochen durch die illegale Inbesitznahme fremder Güter, deren Eigentümer man henkte oder steinigte. Nachdem die Taliban 1996 die Herrschaft über Kabul übernommen und Präsident Nadschibullah gelyncht hatten, war Osama im Hintergrund geblieben und hatte versucht, das alte weltliche Strafgesetz so gut wie möglich anzuwenden. Als ein neuer Codex islamistischer Ausrichtung eingesetzt wurde, gab er schweren Herzens seinen Posten auf und schloss sich, wie bereits zwanzig Jahre zuvor, seinen Freunden bei der Nordallianz an, um gegen die Taliban zu kämpfen. Als er nach ihrem Sturz erneut nach Kabul kam, wurde er wie ein Befreier bejubelt. Dem neuen Regime mangelte es an erfahrenen Polizisten, und so hatte man ihn am selben Tag, an dem sein Vorgänger hingerichtet wurde, weil er sich an allgemeinen Grausamkeiten beteiligt hatte, zum Chef der
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