Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
nicht?«
»Glaubst du, sein Tod hat mit deinem Fall zu tun?«
»Das frage ich mich die ganze Zeit. Es scheint ein Attentat ohne einen bestimmten Hintergrund gewesen zu sein, dennoch finde ich es eigenartig, dass ein Typ sich an dem Ort in die Luftsprengt, an dem Babrak, Gulbudin und ich uns verabredet haben.«
»Du machst mir Angst«, flüsterte Malalai.
Osama stand auf. Die Fliesen waren kalt, obwohl Malalai Scheite in den Holzofen gelegt hatte. Draußen goss es in Strömen, was nicht oft geschah, nicht einmal zu dieser Jahreszeit. Er nahm eine Dusche und dachte dabei an die Reaktion von Babraks Frau, als er ihr um vier Uhr morgens alles erzählt hatte. Sie war ohne einen Laut, ohne zu weinen in sich zusammengesackt, hatte still am ganzen Körper gezittert. Ihre beiden Kinder waren wach gewesen, trotz der späten Stunde, und er hatte das Entsetzen in ihren Augen lesen können, als hätten sie begriffen, dass sie ihren Vater nie wiedersehen würden. Die kleine Tochter hatte einen Stoffesel fest an sich gepresst gehalten.
Osama verscheuchte die düsteren Gedanken, zog ein neues Hemd an und band sich eine Krawatte um, was er seit einem Jahrzehnt nicht mehr getan hatte. Unter Tränen sah Malalai ihm beim Ankleiden zu, wie er dann sein Gewehr nahm und das Magazin überprüfte. Sie schlang ihre Arme um ihn, und lange hielten sie einander stumm im Arm.
»Ich will versuchen herauszufinden, was passiert ist«, sagte Osama knapp, als er sich aus Malalais Umarmung löste.
Sein Fahrer und der Pick-up als Begleitschutz warteten bereits mit laufenden Motoren vor der Tür. Die Männer waren ernst, nervös. Die Nachricht vom Tod seines Assistenten hatte bereits die Runde im Kommissariat gemacht; Babrak war sehr beliebt gewesen. Als Osama im Kommissariat ankam, dämmerte es gerade. Er begab sich direkt zur Abteilung Nachrichtendienst, wo er seinen Kollegen Reza antraf, unrasiert und übernächtigt.
»Guten Morgen, Osama.« Er schob ihm eine Tasse dampfenden Tee zu. »Ich habe auf dem Feldbett geschlafen. Nicht besonders lange, wie du dir denken kannst.«
»Hast du was Neues?«
»Wir haben den
Shahid
identifiziert. Er heißt Abdul Hakat. Ein ehemaliger Taliban, saß nach dem Sturz des Regimes zwei Jahre im Gefängnis.«
»War er bekannt?«
»Ja und nein. Bekannt genug, um aktenkundig zu werden, aber nicht bekannt genug, um ständig überwacht zu werden. Er diente dem NDS manchmal als Informant und hat etwa ein Dutzend Personen denunziert.«
»Was hat dir der NDS erzählt?«
»Du kennst sie ja. Diese Schweinehunde erzählen mir nie etwas. Sie würden um keinen Preis zugeben, dass dieser Typ nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis für sie gearbeitet hat. Hakat spielte vielleicht ein doppeltes oder sogar ein dreifaches Spiel. Oder seine Talibanfreunde von früher haben ihn verpfiffen.«
»Hast du schon damit begonnen, seine Angehörigen zu verhören?«
»Die ganze Familie ist unten, in den Zellen. Sie üben gerade ein wenig Druck auf seinen Bruder aus, das ist auch einer von diesen Talibansäcken. Der wird seine ganzen Zähne ausspucken, das kannst du mir glauben! Wir haben drei Tage Zeit!«
Die gültige Rechtsordnung war eine seltsame Mischung aus afghanischer Tradition und westlichem Recht: Die Untersuchungshaft war gesetzlich auf zweiundsiebzig Stunden beschränkt, doch nichts untersagte
de facto,
die Verdächtigen in dieser Zeit zu foltern – was die Polizei sich nur selten entgehen ließ, wenn es sich um Terrorismus handelte.
»Hat er schon was gesagt?«
»Er schwört, dass sein Bruder kein echter Taliban war, dass er sich niemals in die Luft gesprengt hätte. Von wegen! Möchtest du ihn sehen?«
»Ja.«
Sie gingen ins Untergeschoss hinab. Eine schmale Treppe führte auf einen breiten Korridor aus blankem Beton, der allezehn Meter von einer Neonröhre an der Decke erhellt war. Die Atmosphäre war beklemmend, der Gestank beinahe unerträglich. Zu jeder Seite des Korridors führten Türen – einige vollständig aus Eisen, andere mit einer Gitteröffnung – in Vernehmungsräume und Zellen. Einen der Räume betraten Reza und Osama, er war zwanzig Quadratmeter groß, fensterlos. In der Mitte ein schwerer Holztisch mit Halterungen auf jeder Seite, um einen Menschen darauf mit ausgebreiteten Armen festzuschnallen. Wacklige Stühle standen herum. An einen von ihnen hatte man einen nackten Mann gefesselt, die Hände auf dem Rücken; zwei Polizisten beugten sich über ihn. Der Mann hatte eine gebrochene Nase, Blut
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