Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Begleitschutz für diesen unvorhergesehenen Ausflug angefordert. Eine Sekunde lang überlegte er, ob man ihm womöglich eine Falle gestellt hatte, damit er ohne Bodyguards das Haus verließ, doch es blieb ihm keine andere Wahl. Der Wachposten, der Nachtdienst hatte, stand in zwei Mäntel gehüllt vor der Tür und grüßte ihn überrascht.
»Fahren Sie weg,
Hajj
?«
»Ja, in der Stadt hat es ein Attentat gegeben. Es war doch niemand an meinem Wagen, oder?«
»Niemand.« Der Wachposten spuckte auf den Boden. »Ich habe ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen.«
Osama fuhr los. Gleich darauf kreuzte ein Krankenwagen mit blinkendem Blaulicht seinen Weg, er beschloss, ihm zu folgen. Schon bald tauchte ein weiterer Krankenwagen auf. Ein schlechtes Zeichen: Vermutlich war das Gebäude eingestürzt, und die Opfer wurden zwei Stunden nach dem Attentat noch immer unter den Trümmern hervorgezogen. Er fuhr an der Charahi Haji Yagub vorbei, dann durch Straßen mit modernen Häusern. Die meisten waren bei den Bombardements von 1996 in Mitleidenschaft gezogen worden, und einigen Zimmern fehlten sogar die Außenwände, obwohl darin Familien lebten. Der Anblick dieser von Lichtflecken erleuchteten Wohnhöhlen hatte etwas Erschreckendes. Ein paar Augenblick später sah er eine ganze Ansammlung von Blaulichtern vor sich. Nervöse Militärs riegelten die Straße ab, den Finger am Abzug. Er ließ seinen Wagen stehen und ging zu Fuß weiter. An einer zweiten Straßensperre zeigte er seine Dienstmarke vor und wurde durchgewinkt. Je mehr er sich dem Ort des Attentats näherte, desto deutlicher wurde das Ausmaß der Katastrophe. Sanitäter und Polizisten rannten wild durcheinander, Blaulicht blinkte. Fünfzig Meter vor dem Hamad Café wurde er durch eine weitereSperre aufgehalten. Hier standen die Soldaten der ANA Seite an Seite mit den ISAF-Soldaten, Amerikanern und Türken. Überall liefen Agenten des NDS in Zivil herum, leicht zu erkennen an ihren sichtbar getragenen Revolvern. Einer von ihnen erkannte den Kommissar und ließ ihn durch, ohne dass er sich ausweisen musste. Entsetzt blickte Osama auf eine fensterlose Fassade, rußgeschwärzt. Überall lagen Bauschutt und abgetrennte Körperteile herum, welche die Rettungsmannschaften noch nicht weggeschafft hatten. Er bahnte sich seinen Weg durch die Trümmer. In der Luft schwebte der charakteristische Geruch von C 5. Die Pakistani verteilten es unter Terroristengruppen, obwohl sie den Amerikanern gegenüber das Gegenteil behaupteten. Doch nur die gut organisierten Talibangruppierungen benutzten es, denn im Unterschied zu Schießpulver, das mit einer simplen Zündschnur funktionierte, brauchte es bei C 5 eine richtige Sprengvorrichtung. Osama machte seinen Kollegen Reza ausfindig, den Chef des Geheimdienstes.
»Was machst du denn hier?«, fragte Reza überrascht.
»Ich war gestern Abend mit Gulbudin hier. Wir wollten uns mit meinem Assistenten Babrak treffen, mussten aber gehen, bevor er kam. Babrak ist nicht nach Hause zurückgekehrt.«
Der Chef des Geheimdienstes machte ein besorgtes Gesicht, doch er hatte in seinen dreißig Dienstjahren zu viele Tote gesehen, als dass ihm ein einzelnes Schicksal wirklich naheging.
»Wir haben noch nicht mit der Identifizierung begonnen. Die Leichen haben wir in der kleinen Seitenstraße hinter dem Gebäude aufgebahrt, wenn du nachsehen möchtest … Osama, du bist dir im Klaren, in welchem Zustand sie sind, nicht wahr?«
Osama nickte stumm und steuerte auf die Gasse zu, auf die Reza deutete. Er ging an Sanitätern vorüber, die sich um Verletzte bemühten, die noch nicht fortgebracht worden waren. Die meisten hatten Verbrennungen oder waren verstümmelt. Manche trugen eine blutdurchtränkte Binde über den Augen,die durch die Explosion oder durch Splitter aufgeplatzt waren. Überall hörte man Schmerzensschreie. In ein paar Metern Entfernung hatte man zahlreiche Leichen behelfsmäßig in alte, nun blutbefleckte Laken gewickelt. Osama fiel ein Leichnam ohne Kopf auf, ein Stück abseits, über den sich einige Zivilpolizisten beugten. Der Kopf, fürchterlich zugerichtet, lag daneben. Der Kopf eines
Shahid
wurde immer vom Rumpf getrennt, weil die Explosion so stark war. Aus diesem Grund ließen sie sich leicht identifizieren. Hier war es anders. Osama hatte noch nie einen derart übel zugerichteten Schädel gesehen. Er ging an den nebeneinanderliegenden Leichen vorbei, beugte sich über jede von ihnen, hob das Laken an, mit dem sie zugedeckt
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