Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
ist dann passiert?«
»Neben dem Haus fuhr ein Wagen an.«
»Wie sah dieser Wagen aus?«
»Groß. Schwarz. Das Auto voller
Kuffār
.«
Ein Auto voller Ungläubiger. Osama dachte an die gepanzerten Jeeps, die von afghanischen Beamten und der Schutztruppe gefahren wurden. Ihre Chevrolets und GMCs waren meistens schwarz, die von den NGOs eingesetzten japanischen Fahrzeuge eher weiß oder grau. Plötzlich kam ihm eine Idee.
»Haben Ihre Freunde das Fahrzeug gesehen?«
Der Zeuge nickte heftig. »
Baleh
. Aber ja, Sie haben es gesehen.«
»Wohnen Sie in der Nähe?«
»
Baleh
. Nicht weit.«
»Bringen Sie mich hin.«
Der Alte warf sich einen Umhang aus löchriger Wolle um, stieg in russische Stiefel und folgte Osama auf die Straße hinaus. Nach dreihundert Metern gelangten sie an ein kleines einstöckiges Haus. Der Mann klopfte an die Tür und trat ein. Die Fensterscheiben waren zerbrochen und die Fensterläden geschlossen, um die Kälte abzuhalten. Eine verschleierte Frau, von der nur die Augen zu sehen waren, steckte den Kopf zum Zimmer herein und verschwand gleich wieder. Der Zeuge richtete ein paar knappe Worte auf Paschtunisch an sie. Kurz darauferschien ein alter Mann. Osama stellte sich als Polizist vor, gab aber weder seinen Namen noch seine Dienststelle an. Die Befragung erbrachte nicht viel, der Mann war zweifellos ein guter Würfelspieler, vermochte darüber hinaus aber nichts zu begreifen. Osama dankte ihm und bat seinen anderen Zeugen ohne Umschweife darum, nun den dritten Würfelspieler sprechen zu dürfen. Sie irrten durch ärmliche Gassen, während es anfing zu regnen und der Erdboden sich in eine schlammige Kloake verwandelte. Ein strenger Geruch stieg vom Boden auf. Die meisten Häuser waren nicht an die Kanalisation angeschlossen, Exkremente wurden oft einfach auf der Straße entsorgt, wenn die dafür vorgesehenen Gräben überquollen. Osama drängte zur Eile. Schließlich blieb der Würfelspieler Nummer eins vor einer bescheidenen Unterkunft stehen, die dem ersten Häuschen beinahe aufs Haar glich, allerdings keine zerbrochenen Fensterscheiben hatte. Eine junge Frau erschien auf der Schwelle, um den beiden Fremden Einlass zu gewähren und huschte dann schnell ins Nebenzimmer, um sich vor ihrem Blick in Sicherheit zu bringen. Osama hatte dennoch ihre großen Augen gesehen und ihr wunderschönes Gesicht.
»Das ist die Schwester der Frau meines Freundes«, sagte der erste Zeuge, ihm war Osamas Blick nicht entgangen. »Die Frau meines Freundes ist im Krankenhaus gestorben. Und da hat mein Freund ihre jüngere Schwester geheiratet. Sehr jung, viel schöner! Sie wollte meinen Freund nicht heiraten, aber er hatte Vorrang, und er zahlte ihren Eltern etwas. Er hat großes Glück!«
Er beendete seinen Redeschwall mit großem Gelächter, als hätte er den besten Witz der Welt gemacht. Die Möglichkeit, die Schwester der verstorbenen Frau zu ehelichen, war Gegenstand endloser Debatten, seit jeher gab es unterschiedliche Interpretationen der entsprechenden Stelle im Koran zu diesem Thema. Osama fragte sich, was wohl Mullah Bakir darüber dachte, und wurde derweil in ein Wohnzimmer geführt, das sehr eigenwilligmit Postern amerikanischer Autos tapeziert war. Corvette, Mustang, Cadillac, alle großen Namen der Autoindustrie Detroits schillerten an den Wänden. Der dritte Würfelspieler erwies sich als bucklig und zahnlos und hatte schon seit langer Zeit nicht mehr gebadet. Osama tat die junge Frau leid, die keine andere Möglichkeit gehabt hatte, als dieses Monster zu heiraten. In jedem anderen Land der Welt hätte eine derartige Schönheit einen jungen attraktiven Mann geheiratet.
Man bot Osama den besten Sessel an, dann stritten der erste Zeuge und ihr Gastgeber sich um die Ehre, dem Kommissar den Tee eingießen zu dürfen. Endlich konnte Osama mit der Befragung beginnen. Sein dritter Gesprächspartner zeigte sich deutlich intelligenter als seine beiden Freunde. Geduldig hörte Osama sich zum dritten Mal eine Schilderung derselben Szene an. Was ihn interessierte, war der Wagen, aber er wollte seinen Gastgeber nicht brüskieren.
»Dann sahen wir das Auto wegfahren. Es war ein Jeep Grand Cherokee, das neueste Modell.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.« Der Mann deutete auf die Poster an den Wänden. »Das neueste Modell. Ich habe den Klang des Motors erkannt, der Wagen war mit einem V 8 ausgestattet. Er war natürlich gepanzert, lag also ein wenig tiefer, ich hörte, wie die Achsen knarrten, als
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