Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Mann mit arrogantem Gesichtsausdruck, der gerade in einen Jeep Cherokee einstieg.
»Wer ist dieser Typ?«, fragte Osama. »Er ist der Einzige, der am Steuer des verdächtigen Wagens fotografiert wurde.«
»Kein kleiner
Asgar
. Er spielt den Chef der Bande. Ein Deutscher, sieh ihn dir an, diesen aufgeplusterten Pfau. Als befände er sich auf erobertem Terrain.«
»Wie heißt er?«
»Michael Dortmund.«
»Ist er wirklich der Einzige, der diesen Wagen fährt?«, fragte Osama nach.
»Anscheinend schon.«
Osamas Blick ruhte lange auf einem der Fotos – so musste er sich also den Mörder Babraks vorstellen: arrogant und breit grinsend. Er spürte, wie die Wut in ihm aufstieg.
»Du glaubst, er ist derjenige, der Babrak getötet hat?«
»Hast du Neuigkeiten in Bezug auf den Fall?«, wich Osama aus.
»Abdul Hakats Profil bereitet mir weiterhin Kummer. Zum ersten Mal können wir einen
Shahid
nicht mit einer bestimmtenislamistischen Gruppierung in Verbindung bringen. Mir liegt auch der Bericht des NDS über den Imam der Moschee vor, die er besuchte, er war niemals aufgefallen. Der Imam hatte im Übrigen auch nicht das Format eines Mannes, der Märtyrer schmiedet.«
»Warum sagst du ›hatte‹, ist er tot?«
»Meine Männer sind ein wenig heftig vorgegangen«, sagte Reza. »Er ist während des Verhörs in der Wanne ertrunken.«
Osama schüttelte den Kopf. Ein weiteres unschuldiges Todesopfer.
»Du weißt ja, wie’s läuft«, fuhr Reza entschuldigend fort, »der Minister hat mir wahnsinnigen Druck gemacht. Für ihn ist die Untersuchung abgeschlossen, wir haben einen Schuldigen und ein Motiv, und er wird von den Amerikanern noch mehr Geld im Kampf gegen die Taliban in Kabul fordern.«
»Deren größter Teil in seine Tasche wandert. Ja, ich glaube, ich weiß, wie’s läuft«, seufzte Osama. »Und der Bruder, was sagt der?«
»Er wurde an irgendeinen geheimen Ort geschickt, in ein Gefängnis des NDS. Wahrscheinlich nach Kandahar. Absolute Nachrichtensperre. Von dem hören wir nichts mehr. Wer weiß, vielleicht wurde er bereits gehenkt.«
»Wir müssen darauf reagieren. Wir können derartige Vorgänge nicht ungestraft lassen!«
»Ich stimme dir zu. Was willst du tun?«
»Diesen Dreckskerlen eine Falle stellen. Und du wirst mir helfen.«
10
Die Nacht war hereingebrochen, eine eisige, regnerische Nacht. Ohne Sterne. Nick fuhr durch eine triste Vorstadtlandschaft. Beton, Graffiti, verlassene Gebäude. Orte des Unglücks, dachte er.
Die Käsefabrik, von dem die Prostituierte ihm erzählt hatte,lag weniger als eine halbe Autostunde vom Letten entfernt. War der Letten das Fegefeuer, so stellte dieser vom übrigen Zürich abgeschnittene Zipfel industriellen Brachlands die Hölle selbst dar. Nick konnte nicht begreifen, was einen Kunden dazu veranlassen mochte, hierherzukommen, den Junkies auf Turkey zu begegnen, den Gaunern, den aidskranken Mädchen. Er parkte den Wagen unter der einzigen funktionierenden Straßenlaterne der Umgebung, packte seine Waffe und machte sich auf die Suche nach Yasmina.
Es war eine nervtötende Suche. Alle fünf Meter stellte er dieselbe Frage: »Wissen Sie, wo Yasmina ist?«, um unweigerlich dieselbe Antwort zu erhalten: »Nein.« Endlich, nach einer Stunde, gelangte er zum Ufer der Limmat. Das Ende der Reise, für Drogenabhängige wie für Transvestiten. Er sah sich um und entdeckte eine Gestalt auf einem Felsen. Als er näher kam, begann sein Herz schneller zu schlagen. Es war Yasmina. Aus der Nähe wirkte sie noch ausgemergelter als auf dem Foto.
»Guten Tag, Yasmina«, sagte Nick und begegnete ihrem leeren Blick.
Der Satz brauchte ein paar Sekunden, um das zusammengeschnurrte Gehirn der Prostituierten zu erreichen.
»Tag, mein Kleiner«, erwiderte sie schließlich mit heiserer Stimme. »Was willst du? Bumsen?«
»Nein. Ich will mit dir reden. Ich suche einen deiner Freunde.«
Ihr Lachen klang wie ein knarrendes Scharnier.
»Einen Freund? Ich habe keine Freunde, Herzchen.«
»Einen zumindest hattest du. Er kam neulich zu dir, in das besetzte Gebäude in der Langstraße. Dein ehemaliger Kunde.«
Ihr Blick veränderte sich. Nick hatte den Eindruck, dass auf einmal ein Hauch von Melancholie darin lag.
»Ach, Léonard …!«
»Ja.«
»Warst du mit bei den Dreckskerlen, die dort die Razzia veranstaltet haben?«
»Ich möchte Léonard wiederfinden, bevor sie ihn umbringen.«
»Léonard …«, sagte sie, den Blick in die Ferne gerichtet. »Das war mein bester Kunde. Ob du
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