Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
mir’s glaubst oder nicht, damals war ich ein hübsches Mädchen, ich las Bücher, ich schminkte mich, ich trug die hübschesten Kleider. Sechs Jahre lang war ich Léonards Geliebte. Bis zu dem Tag, an dem mich so ein Arsch Crack probieren ließ. Jetzt bin ich bei fünf Franken, und das sind noch die netten Kunden. Manchmal mach ich’s schon für zwei.« Sie brach in Tränen aus. »Ich werde sterben, wie eine alte Aids-Schlampe. Es ist schrecklich, das Leben ist nicht gerecht!«
Nick wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Ratlos trat er von einem Fuß auf den anderen.
»Weißt du, wo Léonard ist?«, fragte er dann.
»Er ist verduftet, als das Einsatzkommando das Gebäude gestürmt hat. Ich habe nichts von ihm gehört. Und das werde ich auch nicht mehr.«
»Warum kam er zu dir?«
»Weil ihn irgendwelche Typen verfolgten, die es auf ihn abgesehen hatten. Er wusste nicht mehr, wo er sich verstecken sollte. In dem besetzten Gebäude blieb er zwei Tage, ohne ein Auge zuzudrücken. Er hatte Angst, inmitten all der Junkies auf Turkey. Aber er hatte eine Knarre, und ich beschützte ihn. Niemand ist ihm zu nahe getreten.«
»Worauf wartete er denn?«
»Auf einen neuen Ausweis.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Er fragte mich, ob ich jemanden wüsste, der ihm falsche Papiere besorgen könnte. Und tatsächlich kenne ich einen Typen, der auf Dokumentenfälschung spezialisiert ist. Léonard hat mir zum Dank fünftausend Franken zugeschoben.« Erneut brach sie in Schluchzen aus. »Ich wollte abhauen, in eine Klinik, wo sie Leute wie mich behandeln. Ich wollte mir nur noch einen letzten Schuss setzen, einen allerletzten. Unddann kam dieser Dreckskerl. Er hat mich zusammengeschlagen und mir die fünftausend Franken geklaut.« Sie heulte wieder. »Ich bin am Ende!«
»Wer hat Léonard den Pass besorgt?«
»Ein Grieche. Stavos irgendwas. Ein alter Kunde von mir. Er treibt sich in der Nähe von Unterstrass rum.«
»Wo genau?«
Yasmina schniefte. Die Tränen hatten lange schwarze Streifen auf ihrem geschminkten Gesicht hinterlassen.
»Es gibt dort ein Café. Es heißt Istanbul. Dort hängt er von morgens bis abends rum.«
Nick steckte ihr einen Zwanzig-Franken-Schein in die Hand. Erleichtert ließ er diesen trostlosen Ort hinter sich.
***
Khan Durrani sah wie jeden Morgen seine Post durch. Er hatte um Einsicht in alle Dokumente gebeten, die mit dem Attentat auf das Hamad Café zu tun hatten, und studierte sie nun mit großer Aufmerksamkeit. Zufrieden stellte er fest, dass die Polizisten völlig im Dunkeln tappten: Niemand konnte sich vorstellen, dass jemand anders als die Taliban oder al-Qaida das Attentat begangen hatten. Der NDS schlug eine riesige Razzia in den islamistischen Milieus vor. Mit blauer Tinte schrieb der Minister an den Rand:
Einverstanden. Razzia in großem Umfang. Mich über die dabei erhaltenen Informationen in Kenntnis setzen. Nicht zimperlich bei den Verhören sein
.
Er überflog den technischen Bericht des Nachrichtendienstes, die Art von Dokument, die er normalerweise nicht las. In der Mitte der zweiten Seite erregte ein unterstrichener Absatz seine Aufmerksamkeit:
Die von dem Attentäter benutzten Schuhe wurden nicht in Afghanistan gekauft, es handelt sich um ein nicht importiertes westliches Modell. Dies bedeutet, dass Abdul Hakat mit ausländischen Personen oder Institutionen in Kontakt stand. Wir glauben nicht, dass es sich dabei um pakistanische
Personen oder Institutionen handelt, denn diese Schuhe sind in Pakistan wahrscheinlich gar nicht erhältlich. Vermutlich sind es Kontakte, die zur Golfregion führen oder sogar nach Europa. Sollte sich diese Spur als richtig erweisen, wären wir in der Lage, mittels der Fingerabdrücke auf den Schuhen arabische oder sonstige terroristische Elemente zu beschuldigen.
»Was soll das heißen?«, brummte der Minister.
Umgehend bestellte er Michael Dortmund zu sich, es handele sich um eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit. Weniger als eine Stunde später stand der Deutsche auf seiner Türschwelle. Er schien sehr verärgert über diese plötzliche Einbestellung.
»Was ist los?«, fragte er ohne jedwede Begrüßung.
Der Minister hielt ihm wortlos die Unterlagen hin. Seit langem schon achtete er nicht mehr auf die schlechten Manieren der
Kuffār
. Im Umgang mit ihnen zählten nur das Geld und die Macht.
»Ich spreche kein Dari, das müssen Sie mir übersetzen.«
»Natürlich. Tut mir leid.«
Während Dortmund die Übersetzung hörte,
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