Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kadett

Das Kadett

Titel: Das Kadett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
Vom Netzwerk:
sucht. Dann ist ihm der Tag richtig versaut – nein, sag lieber nichts. Wir würden ihn dann nie wieder finden.«
    Miles zog die Brauen hoch. »Was soll er denn jetzt schon wieder für Tante Vorpatril tun?«
    »Naja, seit Lord Vorpatril starb, erwartet sie, dass er bei diesem Idioten Ivan Vaterstelle einnimmt. Bis zu einem bestimmten Punkt ist das auch in Ordnung, aber vorhin hat sie mir in den Ohren gelegen, da sie Aral nicht finden konnte, dass dein Vater mit dem Jungen ein ernstes Wort reden sollte, weil Ivan – naja – zu enge Beziehungen zum weiblichen Personal pflegt. Ein solches Gespräch wäre für beide peinlich. Ich habe nie verstanden, warum diese Leute nicht die Bande zu ihren Kindern abschneiden, wenn diese zwölf sind, und sie allein ins Unglück rennen lassen – wie vernünftige Menschen es tun. Genausogut könntest du versuchen, einen Sandsturm mit einem Windsack aufzuhalten …« Dann ging sie in Richtung Bibliothek fort, wobei sie ihr Lieblingsschimpfwort ausstieß: »Barrayaraner!«
     
    Dunkelheit und Nässe hatten die Fenster zu matten Spiegeln werden lassen, in denen sich die gedämpfte und gekünstelte Trauerfeierlichkeit im Haus Vorkosigan spiegelte. Miles betrachtete im Vorbeigehen sein Spiegelbild: dunkles Haar, graue Augen, blasses Gesicht, die Züge zu scharf, um ästhetischen Ansprüchen gerecht zu werden – und obendrein ein Idiot.
    Eigentlich war es Zeit zum Abendessen, aber es fand wohl heute bei dem ganzen Durcheinander nicht statt. Er beschloss, sich bei den belegten Broten Proviant zu holen und sich dann mittels eines strategischen Rückzugs für den Rest des Abends auf sein Zimmer zu begeben. Vorsichtig spähte er um einen Bogen des Korridors, ob die gefürchteten Grufties in der Nähe waren. Im Zimmer waren nur Leute in mittleren Jahren, die er nicht kannte. Unauffällig schlängelte er sich an einen Tisch und stopfte die Brote in eine Stoffserviette.
    »Lass die Finger von den purpurroten Dingern«, warnte ihn leise eine bekannte Stimme leutselig. »Ich glaube, das sind irgendwelche Algen. Ist deine Mutter wieder auf dem ›Gesunde-Ernährungs-Feldzug‹?«
    Miles blickte in das widerlich hübsche Gesicht seines Vetters Ivan Vorpatril. Auch Ivan hielt eine vollgepackte Serviette. Seine Augen verrieten eine gewisse Angst. Die Ausbeulung an der Brust störte den makellosen Schnitt seiner funkelnagelneuen Kadettenuniformjacke.
    Miles deutete mit einem Nicken zur Ausbeulung hin und flüsterte erstaunt: »Lässt man dich jetzt schon mit einer Waffe herumlaufen?«
    »Schwachsinn, natürlich nicht!« Ivan vergewisserte sich mit einem schnellen Blick, dass ihn niemand beobachtete, vor allem nicht Lady Vorpatril, und machte die Jacke auf. »Eine Flasche vom Wein deines Vaters. Hab ich mir vom Diener geben lassen, ehe er ihn in diese Fingerhüte einschenkt. Sag mal, könntest du nicht meinen einheimischen Führer in eine abgelegene und ungestörte Ecke dieses Mausoleums spielen? Die Wachposten lassen keinen allein nach oben. Der Wein ist gut, das Essen ist gut, bis auf diese purpurroten Dinger, aber die Leute auf dieser Party – mein Gott!«
    Miles nickte zustimmend, allerdings zählte für ihn Ivan auch zu den ›Mein-Gott‹-Leuten.
    »Na schön. Nimm aber noch eine Pulle Wein mit.« Das müsste reichen, um Ivan so weit zu betäuben, dass er einigermaßen erträglich war. »Du kannst dich in meinem Schlafzimmer verstecken. Ich wollte auch gerade dorthin. Wir treffen uns beim Lift.«
    Mit einem erleichterten Seufzer streckte Miles sich auf seinem Bett aus. Ivan breitete wie beim Picknick den Inhalt der beiden Servietten aus und machte die erste Flasche Wein auf. Großzügig schenkte er fast die halbe Flasche in zwei Zahnputzbecher aus dem Bad und gab seinem verkrüppelten Vetter einen.
    »Ich habe gesehen, wie Bothari dich neulich weggetragen hat.« Ivan deutete mit dem Kopf auf Miles Beine und nahm einen kräftigen Schluck. Großvater würde einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn er sähe, wie Ivan diesen Spitzenwein einfach so runterkippte, dachte Miles. Er nahm einen respektvolleren Schluck und trank aufs Wohl der Seele des alten Mannes, obwohl Großvater immer zu recht behauptet hatte, dass Miles einen guten Jahrgang nicht vom vorgestrigen Spülwasser unterscheiden könne.
    »Schlimm«, meinte Ivan und fuhr fröhlich fort: »Aber eigentlich bist du ein Glückspilz.«
    »Ach ja?«, meinte Miles und biss in ein belegtes Brot.
    »Logisch, verdammt noch mal! Morgen fängt das Training

Weitere Kostenlose Bücher