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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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Boulevardzeitungen auf den Tisch. Die Schlagzeilen lauten:
    »Der richtige Vorschlag zur richtigen Zeit! – Hauptmann Zuckmayer gibt die Marschrichtung vor!«, »Profikiller gesucht!« und »Julia Müller will in den Panzer! RTL 2 kündigt eine neue Talent-Show aus dem Panzer an! Sing Tank!«
    »Das ging ja mal voll nach hinten los …«, sagt das Känguru.
    »Das ging ja mal voll nach hinten los, Herr Hauptmann!«, sage ich.
    »Schockt dich das nicht?«, fragt das Känguru.
    »Mich schockt nix mehr«, sage ich.
    »So?«
    »Schau mal hier«, sage ich und öffne Wikipedia. »Der internationale Gaddafi-Preis für Menschenrechte.«
    »Hä?«, fragt das Känguru.
    Ich lese vor: »Der Internationale Gaddafi-Preis für Menschenrechte ist eine seit 1989 jährlich vergebene Auszeichnung, gestiftet von und benannt nach dem libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi.«
    Das Känguru zwinkert einige Mal. »Das ist ein Scherz«, sagt es.
    »Keineswegs«, sage ich und lese dem Känguru einige Preisträger vor: »’89 Nelson Mandela, ’90 die Kinder Palästinas, ’91 die Ureinwohner Amerikas, ’93 die Kinder Bosnien und Herzegowinas, ’98 Fidel Castro, ’99 die Kinder des Iraks.«
    »Das ist auf eine beängstigende Art witzig und nicht witzig zugleich«, sagt das Känguru.
    »Richtig witzig wäre es, wenn jedes Jahr Muammar
al-Gaddafi den Preis gewonnen hätte«, sage ich.
    »Oder wenn die EU, zu den Zeiten, als ihnen Gaddafi noch gut genug war, die afrikanischen Flüchtlinge mit allen Mitteln von der Küste fernzuhalten, den Preis gewonnen und akzeptiert hätte«, sagt das Känguru.
    »Tjaja«, sage ich. »Als ich zum ersten Mal von diesem Preis gehört habe, da war ich geschockt. Ich dachte: ›Ich bin überflüssig, denn es ist schlicht unmöglich, die Wirklichkeit noch satirisch zuzuspitzen. Ich gebe auf. Wir wünschen Marc-Uwe Kling alles Gute auf seinem weiteren beruflichen Lebensweg.‹ Aber dann habe ich wieder den klassischen Problemlösungsweg gewählt und nicht weiter darüber nachgedacht.«
    »Wenn Orwell noch gelebt hätte, als die Big-Brother-Show auf Sendung ging …«, sagt das Känguru. »Fast könnte man glauben, das Einzige, was Satire bewirkt, ist, die Leute auf dumme Ideen zu bringen.«
    »Der Tepco-Preis für den Ausbau von erneuerbaren Energien«, sage ich.
    »Die Erich-Mielke-Medaille für den Datenschützer des Jahres«, sagt das Känguru.
    »Der Milton-Friedman-Award für soziale Gerechtigkeit.«
    »Der Johannes-Paul-der-Zweite-Orden für die Eindämmung von AIDS.«
    »Der Gerhard-Schröder-Scheck für die Entflechtung von Politik und Wirtschaft.«
    »Der Axel-Springer-Preis für Qualitätsjournalismus«, sagt das Känguru.
    »Den gibt es tatsächlich«, sage ich.
    »War ja klar.«

Um den Abend dort zu beenden, wo er begann, bei uns zu Hause, stehe ich gegen Mitternacht mit dem Känguru, Otto-Von, Friedrich-Wilhelm und Krapotke an irgendeiner Haltestelle, und wir warten auf den Nachtbus, genauer gesagt auf den Schienenersatzverkehr.
    Das Känguru hat sein Fahrrad dabei. Es möchte es mit in den Bus nehmen.
    Otto sagt: »Bist du ganz sicher, dass du das wagen möchtest?«
    »Wieso?«, lallt das Känguru. »Ist doch überhaupt kein Problem.«
    Das Känguru fährt nicht oft mit dem Bus.
    »Ich könnte euch meine neuesten Gedichte aufsagen, bis der Bus kommt«, schlage ich vor.
    »Klagelied des Menschen unter dem Kapitalismus
    Bis ich in meinem Bette sterbe
    Wettbewerbe, Wettbewerbe.
    Und wenn einer von der Planke springt
    wird noch bewertet, wie er ertrinkt.«
    Bei diesen Worten beugt sich das Känguru vornüber und schwankt bedrohlich hin und her.
    »Was macht es da?«, fragt Friedrich-Wilhelm verwundert.
    »Ich verschuche«, beginnt das Känguru zu lallen. »Ich …
äh …«
    Es hebt seinen Kopf, holt seufzend Luft und blickt mir lange und schwankend in die Augen.
    »Ich versuche meinen Kopf in meinen Beutel zu stecken.«
    In rasantem Tempo nähert sich plötzlich ein Bus.
    »Krapotke! Legen Sie sich auf die Straße und zwingen Sie dadurch den Fahrer, sein Geschoss zu stoppen«, sage ich.
    »Jawoll!«
    »Jawoll, Herr Hauptmann!«
    »Jawoll, Herr Hauptmann!«, ruft Krapotke und legt sich auf die Straße. Das funktioniert. Der Bus hält. Otto, Friedrich-Wilhelm und ich steigen ein. Das Känguru fragt, ob es das Fahrrad mit in den Bus nehmen darf.
    »Wie stellen Se sich det vor?«, schnauzt der Busfahrer.
    »Na ja«, sagt das Känguru schwankend, »ich würde es einfach durch die Tür in den Bus

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