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Das Känguru-Manifest

Das Känguru-Manifest

Titel: Das Känguru-Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc-Uwe Kling
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Bremsen quietschen, schreie ich: »Das Beuteltier war’s! Ich hab’s genau gesehen.«
    Die Türen öffneten sich. Schweigend steigt das Känguru aus. Die Türen schließt sich wieder. Plötzlich steht ein Lächeln auf seinem Gesicht. Verdammt. Das war unsere Station.

»Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« Bob der Baumeister
    Ich gähne, reibe mir die Augen und nehme einen großen Schluck Kaffee. Das Radio läuft.
    »New York« , sagt der Nachrichtenmann. »Der sogenannte globale Emissionshandel mit Menschenrechtsverletzungen wurde heute ratifiziert. Von der UNO herausgegebene Zertifikate berechtigen ab sofort zu einer bestimmten Anzahl von Menschenrechtsverletzungen. Staaten mit einer guten Menschenrechtslage profitieren so durch den Verkauf überschüssiger Zertifikate an sogenannte Schurkenstaaten. So können Menschenrechtsfragen konfliktfrei über den Markt reguliert werden.«
    Plötzlich übertönt ohrenbetäubender Lärm das Radio. Ich eile in den Flur. Das Känguru steht schon da.
    »Was ist hier los?«, brülle ich.
    »Der Pinguin geht ab«, brüllt das Känguru.
    »Was macht er denn?«, brülle ich.
    »Nach der Lautstärke zu urteilen«, brüllt das Känguru, »spielt er den Zweiten Weltkrieg nach!«
    Ich öffne die Tür. Der Lärm wird unerträglich. Ein Handwerker mit einem Schlagbohrer grüßt mich nickend. Ich schließe die Tür wieder.
    Das Känguru brüllt etwas.
    »Was?«, brülle ich.
    Das Känguru zieht einen Stift und einen Block aus seinem Beutel. Es malt ein Bild von uns beiden an einem See. Ich nicke.
    Anderthalb Stunde später sind wir irgendwo in Brandenburg. Das Känguru möchte mir den Badesee zeigen, den es als Kind immer mit seiner Mutti besucht hat. Irgendetwas muss der See aber in der Zwischenzeit verbrochen haben, denn man hat ihn eingesperrt. Das Gewässer ist komplett eingezäunt, und auf Schildern steht: »Privatgrundstück. Betreten verboten.«
    »Verdammt sei der Erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam, zu sagen: ›Dies gehört mir‹, und verdammt seien die Leute, die einfältig genug waren, ihm zu glauben!«, ruft das Känguru. »Jacques Chirac.«
    Es macht eine Räuberleiter, und ich beginne den Zaun hinaufzuklettern. Als ich an der höchsten Stelle angelangt bin, taucht plötzlich ein Passant auf.
    »Finden Sie das in Ordnung, hier einfach fremdes Eigentum zu betreten?«, fragt er.
    »Hm«, sage ich und überlege kurz. »Ja. Finde ich okay.«
    »Wie fänden Sie das, wenn ich zu Ihnen nach Hause kommen und durch Ihren Garten spazieren würde?«, fragt er.
    »Dazu müssten Sie uns erst mal einen Garten schenken«, sagt das Känguru.
    »Dafür dürften Sie allerdings in dem Garten spazieren gehen, sooft Sie wollen«, sage ich.
    »Ich werde den Sicherheitsdienst alarmieren«, sagt er und stapft davon.
    »Nur konsequent!«, sage ich nickend. »Nur konsequent! Man muss zu seinen Überzeugungen stehen.«
    »Da ham wer’s mal wieder!«, ruft das Känguru dem Mann hinterher. »Vierzig Jahre sozialistische Umerziehung … Voll fürn Arsch!«
    »Das ist doch irgendwie bemerkenswert«, sage ich, während ich oben auf dem Zaun sitze. »Im Realsozialismus wurden Mauern gebaut, um die Leute drinnen zu halten, im Kapitalismus werden Mauern gebaut, um sie draußen zu halten.«
    »Aber in beiden Fällen ist es ein Armutszeugnis, dass die Leute offensichtlich nicht da hindürfen, wo sie hinwollen, und nicht da sein wollen, wo sie sind«, sagt das Känguru.
    »Runter da«, ruft plötzlich ein von einer Zeitarbeitsfirma lohngedumpter Sicherheitsdienstleister. »Gehen Sie weiter.«
    »Verdammt sei der Erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab, und … äh … der … äh … und so weiter!«, sage ich. »Charles de Gaulle!«
    Der Mann schubst mich vom Zaun. Ich rappel mich wieder auf, rüttle am Zaun und rufe: »Ich will da rein!«
    »Ist dir nicht klar, dass du hier gegen die Interessen deiner eigenen Klasse handelst?«, fragt das Känguru den Sicherheitsmann.
    »Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft«, sagt der Mann. »Es gibt hier keinen Klassenkampf mehr.«
    »Es ist immer noch wie im 30-jährigen Krieg«, sage ich zum Känguru. »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.«
    »Jetzt halten Sie hier keine Vorträge!«, ruft der Mann. »Gehen Sie weiter!«
    Das Känguru schüttelt genervt seinen Kopf.
    »Ein Idiot in Uniform«, sagt es, »ist immer noch ein Idiot!«
    »Ein Idiot in Uniform«, sagt der Mann, »ist immer noch in

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