Das Känguru-Manifest
eingeschmiert?«
»Rohöl.«
»Tatsache …«, sagt das Känguru. »Und was hast du in den Wasserspritzpistolen?«
»Rohöl«, sage ich. »Falls jemand bei den Mitsingteilen nicht mitsingt. Oder falls sich einer von der Band verspielt.«
Ich rücke mein Kostüm zurecht.
»Boah!«, ruft das Känguru. »Lass doch mal den Patronengurt …«
Ich schalte den Betonmischer aus.
»Und du glaubst, das kommt gut an?«, fragt das Känguru.
»Jetzt will ich dir mal was sagen«, erwidere ich mit erhobenem Zeigefinger. »Generationen von Künstlern vor mir haben gesoffen, geflucht, gehurt, Köpfe von Fledermäusen abgebissen, Gitarren zertrümmert, in Fässern gehaust, in öffentlichen Toiletten gewichst, mit Minderjährigen geschlafen, sich die Ohren abgeschnitten, und zwar nicht zuletzt dafür, dass ich mich aufführen kann wie ein infantiler Geisteskranker und die Leute das schulterzuckend mit dem Satz: ›Er ist halt ein Künstler …‹ quittieren.«
»Kleinkünstler«, sagt das Känguru.
»SCHLUSS MIT KLEINKUNST!«, schreie ich.
»Das wäre auch ’ne gute Inschrift für deinen Grabstein«, sagt das Känguru.
Ich seufze.
»Na was?«, fragt das Känguru.
»Hast du nicht auch schon mal das Gefühl gehabt, dass du etwas Besonderes bist?«, frage ich. »Jemand Tolles? Jemand Außergewöhnliches?«
»Ja sicher«, sagt das Känguru. »Wer hat das nicht?«
»Aber dieses Gefühl ist Quatsch«, sage ich. »Das wird uns nur von der Wohlfühlindustrie eingeredet!«
»Nee«, sagt das Känguru. »Ich bin wirklich was Besonderes.«
»Aber ich nicht«, sage ich trotzig. »Ich bin der Einzige auf der Welt, der nichts Besonderes ist.«
»An deiner Stelle würde ich mich nicht zu laut über meinen Job beschweren«, sagt das Känguru.
»Auch auf der Bühne zu stehen hat Vor- und Nachteile«, sage ich.
»Ah ja?«
»Ja. Ein Vorteil ist zum Beispiel, dass man auch nach dem dritten Klingeln noch in aller Ruhe auf die Toilette gehen kann.«
»Und ein Nachteil?«
»Man kann nicht in der Pause gehen, falls einem der Abend nicht gefällt.«
Das Känguru blickt mich sorgenvoll an.
»Was ist nur los mit dir?«, fragt es.
»Ach«, seufze ich. »Ich glaube, ich kriege meine Midlife-Crisis.«
»Mit 28?«, fragt das Känguru zweifelnd.
»Pah«, murre ich »Was weißt’n du, wie alt ich werden will.«
»Na ja. Schön und gut«, sagt das Känguru und blickt im Zimmer umher, »aber hättest du diese Sauerei nicht draußen veranstalten können?«
»Spinnst du?«, frage ich. »Was sollen denn die Leute von mir denken?«
»Nichts ist mächtiger als eine Idee,
deren Zeit gekommen ist.« Paris Hilton
Kaum bin ich von der sehr langen und sehr anstrengenden Tour zurück, da schleppt mich das Känguru schon wieder vor die Tür. Wir laufen ein Stück, bis zu einer extrem toten Straßenkreuzung. Dort stehen wir nun im Dunkeln herum.
»Wie kam eigentlich das mit dem Rohöl an?«, fragt das Känguru.
»Ich habe mich kurzfristig dagegen entschieden«, sage ich.
»Wahrscheinlich besser so«, sagt das Känguru. »Bei den Ölpreisen hättest du sonst vielleicht Verlust gemacht.«
»Worauf warten wir eigentlich?«, frage ich.
»Wir warten auf den Bus«, sagt das Känguru.
»Hier ist aber keine Haltestelle«, sage ich.
»Unser Bus braucht keine Haltestelle«, sagt das Känguru.
An einer goldenen Kette zieht es eine Taschenuhr aus seinem Beutel.
»Jetzt«, sagt es.
Scheinwerfer zerfetzen die Nacht. Ein Bus rauscht heran. »Betriebsfahrt« prangt in leuchtenden Lettern über der Windschutzscheibe. Direkt vor uns kommt das Gefährt quietschend zum Stehen. Die Vordertür öffnet sich.
»Hola, Comandante!«, sagt der Mann hinterm Steuer. Er kommt mir seltsam bekannt vor. Der Schnurrbart, die altmodische Brille, das fiese Gesicht. Nichts unterscheidet ihn von einem gewöhnlichen Berliner Busfahrer. Außer natürlich, dass er das Känguru gerade ›Comandante‹ genannt hat.
»Ich grüße Sie, Herr Professor«, sagt das Känguru und steigt ein.
»Ein Neuer?«, fragt der Busfahrer.
»Nein, nein. Das ist der Hauptmann«, sagt das Känguru und zieht mich in den Bus.
»Ah! Der Hauptmann!«, sagt der Busfahrer. »Ick hab schon viel von Ihnen jehört.«
»Hm«, mache ich nachdenklich, lege meinen Kopf schräg, kneife die Augen zusammen und mustere den Busfahrer skeptisch. Die Tür schließt sich, und das Gefährt nimmt wieder Fahrt auf. Der Bus ist vollgepackt mit Menschen. Kaum einer sitzt. Einige wuseln im Gang umher, andere stehen in
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