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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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gewesen wäre, brachte sich Louis Link mit einem weithin hörbaren Knall selbst zum Schweigen. Mit dem Loch aber, das er sich in den Kopf gesprengt hatte, hinterließ er auch ein Loch in unserem Rechtsbewusstsein, über das wir künftig werden hinwegsteigen müssen, wenn wir unsere gewohnten Wege weiterhin beschreiten wollen. Dieser zerfranste Gesichtsrest, so endete der Kommentar von John C. Klein, der da nach der Sprengung noch übrig geblieben sei, der schaue nun aus unversehrten Augen über den Rand der Zerstörung und ins Gewissen der Nation.
    Richard steht auf und verlässt den Raum. Ich höre seine Schritte auf den Stufen ins obere Stockwerk.

Ich wachte auf der Couch im Wohnzimmer meiner Eltern auf und alles tat mir sehr weh. Ich musste in der Nacht ungünstig mit meinem Gesicht auf einem der harten Kissen oder der Armlehne geschlafen haben. Mein Kiefer fühlte sich ganz verschoben an. Wenn ich die Zähne zusammenbiss, passten sie nicht richtig aufeinander, obwohl sie das sonst eigentlich tun. Auch wachte ich nicht richtig auf, wurde mir lediglich der Tatsache bewusst, dass ich dalag, auf der Elterncouch, im Wohnzimmer, dass es wieder Tag geworden war draußen, ein genauso milchig verwaschener, dunstig trüber Tag wie alle Tage seit langem. Dass ich ausgestreckt auf meinem Rücken lag, wurde mir bewusst. Und dass ich nicht mehr lief. Das Laufen aus der Stadt bis in den Ort kam mir völlig unmöglich und unrealistisch vor. Es war noch nah genug, um mir für jeden der letzten Tage ganz konkrete Bilder ins Gedächtnis zu rufen, und ich spürte ja auch deutlich an meiner völligen Schlaffheit, dass ich unterwegs gewesen war. Wenn ich mich aber an das Losgehen erinnern wollte, oder besser: an die Zeit kurz davor, wurde alles schon sehr fragwürdig.
    In dem Zustand, in dem ich mich nun befand, konnte ich bestimmt schon alle Teile meines Körpers frei bewegen. Ich konnte mir aber auch noch sehr einfach einbilden, dass zum Beispiel mein rechter Arm, wenn ich ihn jetzt hochheben wollte, gar nicht reagieren würde.
    Es gibt ja diesen Schlafreflex des Gehirns, den Körper vom letzten Halswirbel abwärts lahm zu legen, damit man das Gehetze und Geschlinger der Traumwelt nicht tatsächlich mit seinem schlafenden Körper im Bett ausführen muss. Und hin und wieder passiert es auch, dass einer zu früh aufwacht, dass das Hirn zu nachlässig oder zu beschäftig ist mit dem, was sich gerade abgespielt hat und die Verbindung nicht wiederherstellt, wenn das Leben zurück will in den Körper.
    Ich unternahm einen ersten autosuggestiven Versuch, beim Heben meines bleischweren Arms zu scheitern, stellte mir also vor, dass nichts in meinem Körper recht auf die Befehle meines Gehirns reagieren würde, freute mich sogar ein wenig darüber, wie meine Muskeln nur kurz aufzuckten und nichts bewirkten, als der Junge an die Rückenlehne der Couch herantrat, auf mich heruntersah und sagte:
    Du kannst hier unten auf der Couch schlafen, wenn du willst, ich schlafe oben im ersten Stock. Ich heiße Richard.
    Dann verschwand er wieder aus meinem Gesichtsfeld. Ich machte eine fahrige Bewegung, um mich an der Stirn zu kratzen, obwohl es mich da gar nicht juckte und hatte damit das ganze Spiel von der Morgenlähmung unabsichtlich beendet.
    Ich spürte, dass außer mir niemand mehr im Wohnzimmer war. Auch bildete ich mir ein, die Schritte des Jungen auf den Stufen nach oben gehört zu haben. Ich wollte mich noch immer nicht bewegen und rief also so laut, wie meine vom Schlaf noch ganz belegte Stimme es zuließ, meinen eigenen Namen ins Haus meiner Eltern. Danach fiel mir auf, dass es sich so angehört hatte, als würde ich nach jemandem rufen und dann schrie ich noch hinterher: So heiße ich!
    Das Schreien wärmte meinen Hals. Ich spürte meine Lunge und auch den ganzen Rest meines Körpers jetzt ziemlich gut, in den Knien und Füßen hatte ich Schmerzen, mein Nacken war steif und durch meinen Rücken ging ein Stich, als ich mich schließlich aufsetzte. Das Feuer im Ofen war über Nacht ausgegangen, ein paar verkohlte Holzreste ragten aus der fahlen Asche. Es war nicht sehr kalt im Zimmer, aber auch lange nicht so warm wie am Abend.
    Ich schaute mir die Möbel meiner Eltern an, die Fotos und die Bilder, die sie aufgehängt hatten. Ein paar davon hatte meine Mutter gemalt, als sie vielleicht Mitte zwanzig gewesen war und entweder große Hoffnungen in das Malen gelegt oder sich davon eine geheimnisvolle und irgendwie verführerische Aufladung ihrer

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