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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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eigenen Person versprochen hatte. Ich habe sie nie danach gefragt, und sie hat von sich aus auch nie etwas darüber erzählt. Kurz fand ich es sehr ungerecht und völlig inakzeptabel, dass keiner der beiden im Haus war, um mir aus meiner müden Schlappheit mit einem Frühstück herauszuhelfen oder mir einen Tee zu kochen. Ich zog mir die Decke über die Schultern und begann an den Füßen zu frieren. Dann überlegte ich kurz, nach Richard zu rufen, das kam mir aber so erbärmlich vor, dass ich doch aufstand, in der Küche Wasser aufkochte, zurück ins Wohnzimmer ging, den Ofen ausfegte, aus der Heizerkiste frische Holzscheite aufschichtete und damit ein Feuer machte, vor dem ich trotz der Schmerzen in meinen Knien lange hockte, bei halb offener Ofentür und immer wieder hineinblies, bis sich schmale Flämmchen an den Holzscheiten gebildet hatten, die auch ohne mich weiterbrennen würden.
    In meinem Kopf rollten ein paar Gedanken geräuschlos dahin, und ich versuchte nicht, sie aufzuhalten.
    Ich sah mir lange Zeit die handgeschnitzte Holzfigur an, die meine Eltern auf einer Fernreise noch vor meiner Geburt gekauft und seitdem an verschiedenen Orten im Haus aufgestellt hatten. Es handelt sich bestimmt um eine Art Gottheit, der Kopf der Figur ist ebenso groß wie der restliche Körper, das Holz ist sehr dunkel, fast schwarz, und das Gesicht hat einen düsteren Ausdruck. Seit ich denken kann, haben meine Eltern diese Figur niemals mit ihrem düsteren Blick in den Raum hineinschauen lassen. Immer war sie einem Fenster zugewandt gewesen und hatte mit ihrem ganzen Groll nach draußen in die Welt geschaut. Auf das kleine Dorf. Den Garten.
    In der Küche fand ich alle Geräte, Geschirr und Besteck dort, wo sie immer gewesen waren. In den Schränken gab es ein paar Konserven, Gewürze, einige Beutelteesorten, und weiter hinten, in Plastikschalen, staubige Tütchen mit Backpulver, Trockenhefe, Milchreismischung und Gemüsebrühe. Der Kühlschrank war bis auf ein paar angebrochene Marmeladengläser, eine zerdrückte Senftube, etwas Tomatenmark und eine verschlossene Flasche Sauerkrautsaft völlig leer. Es gab kein Brot in dem kleinen Kasten mit dem hölzernen Rollo, alles was ich finden konnte sah aus wie das, was man getrost zurück lässt, wenn man sich auf eine längere Reise begibt und irgendwie gab mir das kurz ein Gefühl von Hoffnung, dem ich aber nicht trauen wollte.
    Auf der Arbeitsplatte in der Küche lag etwas von dem Werkzeug aus dem Keller: ein paar kleine Schraubzwingen, eine Laubsäge, ein Gummihammer, ein Stemmeisen und einige Schraubenzieher, ein wenig Holzstaub war auf der Platte liegen geblieben. Ein Werkstück oder etwas, das so aussah, als sei es gerade erst repariert worden, konnte ich aber nicht entdecken.
    Ich schüttete das heiße Wasser auf einen Haufen Gemüsebrühepulver in die größte Tasse, die ich finden konnte, rührte ein paar Mal darin herum und lief mit dem heißen Gefäß in den Händen zurück ins Wohnzimmer, wo mein Feuer jetzt etwas kläglich aussah, aber immerhin brannte.
    Im Schuhregal im Flur fand ich ein Paar Hausschuhe meines Vaters, die ich mir anzog. Meine Stiefel sahen sehr schmutzig aus und außerdem selbst ganz eingefallen und übermüdet. Ich ging mit der dampfenden Tasse in der Hand die Stufen hoch ins obere Stockwerk, die Decke hatte ich noch über den Schultern und weil ich so kraftlos war, musste ich mich auch am Geländer festhalten, vorgreifen und schrittweise hochziehen. Ich sah bestimmt sehr alt oder sehr verrückt aus.
    Im oberen Stockwerk befindet sich das Schlafzimmer meiner Eltern, mein altes Kinderzimmer, ein Bad, ein separates Klo und ein kleiner Raum, den wir immer den Speicher genannt haben und in dem alles aufbewahrt wurde, was man nicht auf den Dachboden räumen konnte, weil es wegen des Flachdachs ja keinen Dachboden gab. Vor dem Speicher, am Ende des oberen Flurs, wo ein Fenster zum Garten geht, ist auch die Luke mit der ausklappbaren Leiter, über die man aufs Dach gelangt. Man muss einen Metallriegel zur Seite schieben und dann eine Holzklappe öffnen, die Leiter ausfalten, hochsteigen und nochmal einen Riegel öffnen, bevor man die eigentliche Dachluke aufdrücken und ins Freie klettern kann.
    Die Tür zu meinem Zimmer, in dem ich normalerweise schlafe, wenn ich zu Besuch bin bei meinen Eltern, war angelehnt. Als ich stehen blieb und eine Weile horchte, konnte ich Richard, wahrscheinlich auf den Knien, auf dem Teppichboden herumrutschen hören. Ich machte

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