Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
Vom Netzwerk:
gegenüber die Schlafzimmertür meiner Eltern auf. Der Raum war dunkel, die Rollläden heruntergelassen. Als ich das Licht anschaltete, sah ich ihr gemachtes Bett mit einer glatt gestrichenen Überdecke, die Nachtkästen aufgeräumt, kein herumliegendes Buch, keine abgelegte Lesebrille, verknüllte Taschentücher oder Kleider auf dem Fußboden. Die Schranktüren waren geschlossen und auf dem Stuhl in der Ecke, auf dem sich normalerweise Hosen und Hemden stapeln, die irgendwann in den Wäschekorb geworfen oder nochmal angezogen werden, lag nichts, keine einzige Socke. Die Oberflächen auf der Kommode, auf dem Fensterbrett und den Nachtkästen waren sehr staubig, das konnte ich sehen, obwohl die Glühbirne auch in diesem Zimmer gar nicht richtig hell wurde. Ich konnte schon alles erkennen, auch den vielen Staub, aber dieses Licht war so, dass man nichts von dem, was man sah, auch wirklich glauben wollte. Ich schaltete das Licht wieder aus und ging über den Flur zurück zu Richards Zimmertür. Ich klopfte so zaghaft an, dass ich mich gleich über meine eigene Vorsicht ärgerte, weil es ja immer so ist, dass ein zaghaftes Anklopfen vielleicht gar nicht gehört wird und man dann, wenn niemand antwortet, eh nochmal klopfen muss, um sicher zu gehen, dass das Nichtantworten daher kommt, dass man stört und nicht daher, dass man zu vorsichtig war. Ich klopfte also gleich nochmal fester an die Tür, wartete ein paar Sekunden, in denen ich nichts hörte, auch nicht das Rutschen der Knie auf dem Teppich, dann schob ich die Tür in den Raum und trat in mein Zimmer.
    Ich sah Richard auf dem Fußboden eine Pappschachtel in das unterste Fach eines Holzregals schieben, bevor er sich umdrehte und mich ansah.
    Ich bin jetzt wach, sagte ich zu ihm, und ich habe Hunger.
    Ich sagte, dass ich uns jetzt etwas kochen würde, also dass ich auch für ihn etwas mitkochen würde, dass bestimmt genug da wäre für zwei, wenn ich gekocht hätte, und wenn er also auch hungrig sei, dann könnten wir zusammen essen, wenn er möchte.
    Ich weiß nicht, weshalb ich gleich von Anfang an so vorsichtig mit ihm umgegangen bin. Aber da war etwas an ihm und an der Art wie er schaute und nicht so viel redete, dass ich mir sofort lärmend und idiotisch vorkam. Als sei die Stille etwas, das ihm gehört und als würde deshalb alles, was von mir dazukam, jedes Geräusch, sein sicher hochgeschätztes Eigentum kaputtschlagen.
    Richard blieb auf dem Fußboden sitzen, mit dem Rücken zum Regal und der Pappschachtel, die er eben darunter verstaut hatte. Im Keller könnte man vielleicht noch etwas finden, meinte er, er habe aber selbst schon lange nicht mehr nachgeschaut. Ich fragte ihn, was er denn sonst so esse, ob er etwas ganz besonders gern oder überhaupt nicht mochte, aber er zuckte nur mit den Schultern, und ich bekam das bestimmte Gefühl, dass er gerne allein gelassen werden wollte. Beim Schließen der Tür versuchte ich noch, möglichst ausführlich in meinem Zimmer umherzuschauen und nach Veränderungen zu suchen, die Richard darin vielleicht vorgenommen hatte. Ich konnte aber nichts erkennen. Mir fiel nichts auf, was fehlte oder an einem anderen Ort stand als üblich.
    Die Gemüsebrühe, die ich die ganze Zeit vor mir her getragen hatte, war auf eine trinkbare Temperatur abgekühlt. Ich blieb auf der Treppe nach unten immer wieder stehen und schlürfte kleine Schlucke aus der Tasse, zog die Decke über meinen Schultern zurecht, und alles was ich machte, jede Bewegung, kam mir sehr umständlich und überflüssig vor. Obwohl sie ja nur aus einem staubigen Pulver bestanden hatte, war die Brühe sehr fettig, sie hinterließ einen öligen Film auf meinen Lippen.
    Die blaue Fußbodenfarbe auf der Kellertreppe war vor kurzem erneuert worden. Oder es hatte jemand sehr gründlich die Stufen geschrubbt.
    Im Keller sah ich, dass an den Wänden reichlich Holz aufgestapelt war. Meine Eltern hatten sich auf einen langen Winter vorbereitet, bevor sie aufgebrochen waren. Es war kalt und ein wenig feucht, in den Regalen fand ich einige Konserven, eingemachtes Obst, einen großen Sack größtenteils schon grün gewordener Kartoffeln, Zwiebeln, die erst ausgetrieben hatten, dann aber in der Dunkelheit und Kälte vertrocknet waren. Ich fand ein Netz Möhren und ein paar runzlige Äpfel, Milchpackungen und eingeschweißten Kuchen. Alles wirkte wie lange unberührt und ich zögerte, bevor ich anfing, mir verschiedene Dinge auf den Arm zu laden. Die Tasse, aus der ich die

Weitere Kostenlose Bücher