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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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einem Satz, der wohl zu einer Buchbesprechung gehörte. Er war fettgedruckt und groß zwischen die Zeilen des Artikels gesetzt. Er kam aus dem Nichts stand da, und nahm uns allen die Luft zum Atmen .
    Ich schaute auf und las Richard den Satz vor, mutig geworden vom kleinen Erfolg mit dem Bild. Ich hatte ein gutes Gefühl. Ich glaubte, wenn wir etwas von außen haben, etwas aus der Welt, auf das wir gemeinsam schauen können, dann ist es bestimmt leichter. Dann geht es nicht gleich um uns selbst. Richard sah mich an, und dann rutschte er von seinem Stuhl herunter, kam rüber zu mir, neben mich auf die Eckbank und las, langsam, mit stumm mitsprechenden Lippen, den Satz, auf den ein leicht zitternder Finger meiner linken Hand zeigte. Er schaute mich an und fragte mich, was das heißt. Ich spürte wie mein Herzschlag den Hals hinaufpochte. Mein Gesicht wurde sehr heiß. Ich schaute im Wohnzimmer herum, sah, dass das Feuer im Ofen wieder ausgegangen war und nur noch ein schwacher Streifen Glut an den aufgeschichteten Holzscheiten verglomm. Es geht dabei wohl um eine große Enthüllung, sagte ich. Richard schaute mich geduldig und vollkommen verständnislos an.
    Also hier wird behauptet, dass die Menschen die ganze Zeit geglaubt haben, was sie atmen jeden Tag sei Luft. Und dann kam aber das Buch oder wer es eben geschrieben hat und hat ihnen gezeigt, dass es die ganze Zeit über gar keine Luft gewesen ist, sondern eine Art toxischer Nebel, eine giftige Suppe, ein Gas voller Schadstoffe und dass sie also von jetzt an, wo sie es wissen, nicht mehr einfach so einatmen können, ohne Angst davor, ersticken zu müssen oder hingerafft zu werden von einem Haufen unüberschaubarer Nebenwirkungen.
    Richards Augen weiteten sich. Begeisterung, dachte ich. Weiter jetzt.

Abb. 6

Am 19. Dezember 1888, etwas mehr als ein Jahr nach seinem fluchtartigen Verschwinden aus Chicago, lag John C. Klein schwer bewaffnet am Ufer des Vaivasa Flusses, auf der samoanischen Insel Upolu, um zwei Uhr morgens sehr aufgebracht zwischen Anhängern des Häuptlings Mataafa im Sand und brüllte in die nachtschwarze Dunkelheit, aus der sich langsam ein Fährschiff mit deutschen Marineinfanteristen näherte, die von Konsul Wilhelm Knappe zur Entwaffnung der Einheimischen und zur Sicherung der deutschen Plantagen auf Upolu ausgesandt worden waren.
    Der Landgang der deutschen Soldaten führte zu ihrer massenhaften Erschießung, Enthauptung und sonstigen Zerteilung – die samoanischen Krieger nahmen sich Köpfe, Hände und Ohren als Trophäen der ersten siegreich bestrittenen Landschlacht gegen die Deutschen mit nach Hause, und bis heute ist unklar, ob Klein, der zu diesem Zeitpunkt schon lange unter den Samoanern gelebt hatte, ihr Anführer im Angriff auf die landenden Deutschen gewesen ist oder doch noch einer Art Korrespondententätigkeit nachging, die er allerdings zuletzt, proportional zu seiner ausufernden Bewaffnung, mehr und mehr vernachlässigt haben musste.
    Die deutsche Vertretung auf Samoa sprach nach der Schlacht nahe der Plantagen von Vailele, in deren Gebäude die überlebenden Soldaten schließlich geflüchtet waren, einen Haftbefehl gegen Klein aus, woraufhin er von der amerikanischen Regierung auf einem Kanonenboot nach Honolulu geschmuggelt wurde.
    Nicht weit von den Vailele-Plantagen entfernt befand sich der Landsitz des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson, ein zweistöckiges Holzhaus, das er gemeinsam mit seiner Frau Fanny bis zu seinem Tod bewohnte und in dem er immer wieder den Versuch unternahm, die militärischen Konflikte auf der Insel zu dokumentieren.
    Er führte Buch darüber, was sich um ihn und seine Frau und ihr gemeinsames Landgut ereignete, was ihm zugetragen wurde von den Samoanern, was an Zeitungsmeldungen an die Öffentlichkeit gelangte und was er aus den Abschriften der Militärberichte filtern konnte, die ihn in unregelmäßigen Abständen über Beziehungen erreichten. Während immer wieder die Geräusche des Bürgerkriegs durchdrangen bis zum Landsitz der Stevensons, die Kanonenfeuer der Kriegsmarine vor der Hafenstadt Apia, das Schlachten in den Wäldern, arbeitete er an einer Chronik der Ereignisse. Einer umfassenden Darstellung.
    Grundlagen der Zwietracht wollte er diesen Text nennen und nichts sollte ausgelassen werden.
    Es fiel noch in diese von Stevenson dokumentierte Zeit, dass Konsul Wilhelm Knappe aus Samoa abgezogen wurde, die deutsche Vertretung schließlich den samoanischen Führer Mataafa als

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