Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
Vom Netzwerk:
ja schon wieder darauf, ihm etwas zu erzählen und hoffe, dass er noch nicht schläft –, erfüllt im Ort verschiedene Aufgaben und Funktionen. Ich glaube, dass er in einigen Gebäuden des Ortes und in kleineren Vereinsheimen Hausmeisterarbeiten verrichtet, Landmaschinen und Bootsmotoren repariert, hauptsächlich aber in seiner Holzwerkstatt sägt und zimmert, das gefällt Richard, das kann ich sehen, an Möbeln, Figuren und Grabkreuzen, man kann, glaube ich, sage ich zu Richard, alles bei ihm in Auftrag geben, was aus Holz gemacht wird. Er hat vor vielen Jahren auch einmal ein Flurkreuz für die Gemeinde angefertigt, das können wir uns auch anschauen, sage ich, es steht an einer Straßenkreuzung nah am Ortsausgang neben einem sehr alten Baum. Es wurde lange darüber diskutiert, weil niemand sicher sagen konnte, ob es nicht vielleicht schon Kunst war, zu abstrakt, zu grob, der Jesus daran ist kaum als Mensch zu erkennen war ein Einwand und Helbigs Antwort darauf: Ja eben.
    Nach einer ganzen Weile, die ich vor Willy Helbigs Grundstück gestanden habe, wird es mir doch sehr kalt, der Schnee fällt wieder etwas dichter vom Himmel, ich kann nicht sagen, wie spät es ist, überlege für einen Moment, ob ich die Einfahrt entlang und durch seinen Garten gehen soll, klingeln. Ich meine auch, in seinem Haus hinten brennt ein schwaches Licht. Ich entscheide mich aber dagegen, dachte wahrscheinlich, es ist doch zu spät. Vielleicht war da aber auch eine leise Angst davor, etwas wie ein Geheimnis, das mir zu diesem Zeitpunkt schon kostbar geworden war, könnte zu schnell gelüftet werden.

Abb. 17

Schon mit einigem Ekel erzähle ich Richard von einer Reihe junger Frauen, die in einem aufwendigen Fernsehstudio in Badeanzügen nebeneinander stehen, während eine sehr ernst aussehende Moderatorin mit glänzenden Haaren zu ihnen spricht.
    Sie baut eine große Spannung auf, spricht langsam, überdeutlich und mit langen Pausen. Die Kamera fährt über die Gesichter der jungen Frauen. Einige haben zu weinen angefangen und werden immer wieder von kurzen Schluchzanfällen geschüttelt. Manche nicken mit geschlossenen Augen oder haben den Kopf in den Nacken gelegt, den Blick an die Studiodecke gerichtet und atmen langsam ein und aus in tiefen Zügen.
    Ein Mann mit einem Schnurrbart, erzähle ich ohne große Lust, der eine gespiegelte Sonnenbrille im Gesicht trägt, steht an einem Strand in Badehose und schaut angestrengt aufs Meer. Die Kamera fährt immer weiter an sein Gesicht heran, bis man glaubt, in den Brillengläsern eine Riesenwelle oder ein Riesentier zu sehen, etwas jedenfalls, das sich gigantisch aufs Festland zubewegt. Hinter dem Mann laufen Badegäste panisch im unscharfen Hintergrund umher.
    Und ein Moderator im Frühstücksfernsehen, erzähle ich Richard, sitzt auf einem sehr bunten Sofa mit einem Studiogast und schaut jedes Mal, wenn der Gast auf eine Frage antwortet, mit einem gierigen Blick zum Couchtisch hin, auf dem ein geflochtener Brotkorb steht, gefüllt mit frischen Croissants.
    Und ein Fußballtrainer, und es fühlt sich sehr stumpf an, was Richard überhaupt nicht bemerkt, läuft wütend über das Spielfeld, durch die Rauchschwaden brennender Leuchtraketen auf eine Tribüne zu, in der ebenfalls ein gleißendes Feuer brennt und Fans in den Vereinsfarben mit freiem Oberkörper auf große Trommeln einschlagen. Der Trainer brüllt aufgebracht und macht werfende Bewegungen mit dem Arm. Er wirft aber gar nichts.
    Ich lese mich ein. Am Tag nach meinem Umweg durch das Gereute befällt mich das Bedürfnis, dahinter zu kommen, wie diese Geräte im Innern funktionieren. Ich bin an ihrem Aufbau interessiert oder zumindest möchte ich mich weniger wie ein Hochstapler fühlen bei der Arbeit und bekomme von Herrn Letterau bereitwillig einige Fachliteratur ausgehändigt.
    Ich lese von elektrischen Feldern, einem etwas schrägen Austreten, von elektrostatischen Linsen, von der Nachleuchtdauer, lese vom Wunsch nach einem möglichst großen Schirm, von der Bildfeldwölbung, geneigten und geknickten Ablenkplattenpaaren, vom horizontalen Wurf im Schwerefeld, Lissajou’schen Figuren, remanentem Magnetismus und hinreichend gestreckten Spulen, von Leybold und Phywe lese ich und von der Trägheit des Auges, von beträchtlicher Selbstinduktion, grün fluoreszierenden Röhren, negativer Vorspannung, Linsenanoden, ich lese von sekundärseitig direkt gelieferter Heizspannung, von Wärmeträgheit, von zusätzlichen Glättungsmaßnahmen und

Weitere Kostenlose Bücher