Das kalte Schwert
entlang.
Ein schneeweißer Arm schneidet durch sein Blickfeld und zeigt nach rechts.
Was ist dort?
Was du suchst, du Held. Kurzzeitiger Trost und ein Weg nach draußen.
Er hat den flackernden Feuerschein am Himmel vergessen.
Als hätte sich gerade der Vorhang gehoben, zeigt er sich jetzt wie ein fester Glanz entlang seines Wegs zur Rechten. Er hätte schwören können, dass er zuvor nicht so nahe gewesen ist. Oder vielleicht verdunkelt sich der Himmel wegen unergründlicher Wetterzyklen tatsächlich zu so etwas wie einer Nacht.
Er geht eine zunehmend besser ausgebaute Straße entlang. Das Pflaster liegt so breit, dass ein Bauernkarren darauf fahren könnte, und er erkennt die uralten Furchen, wo Generationen solcher Karren ihre Spuren hinterlassen haben. Seine Stiefelabsätze klacken laut und schicken unheimliche Echos über den Sumpf, und er spürt ein schwaches Kitzeln im Nacken, als würden sich jeden Augenblick andere Schritte wie auf Stelzen mit den seinen mischten, als eilte die Kreatur am Wegweiser zu ihm heran, als erhöbe sie sich hinter ihm, als klafften ihre Kiefer auseinander und die Klauen entfalteten sich erneut und sie gäbe sich auf einmal unversöhnlich, weil Ringil zuvor so unhöflich gewesen war und die Nerven verloren und das Messer gezogen hatte …
Stattdessen bringt ihn die breite Straße mitten hinein in die Ruinen einer Stadt; vom Wind frei gefegte Terrassen aus zersplittertem Stein, abgebrochene Stümpfe von Säulen, riesige, umgekippte Blöcke von Grabmalen mit Reihen von Zeichen, die er nicht lesen kann, deren gemeißelter Aufmarsch ihn jedoch erschauern lässt, was man nicht allein durch das Fieber vom Spinnenbiss und das graue Sumpfwetter erklären kann. Und jetzt gibt es linker Hand Stufen, breite, flache Bänder, abgenutzt und glatt wie Wachs und uneben vom Alter, die zur Straße herunterführen, auf der er sich befindet. Er sieht hinauf zu dem Feuerschein, der sich zuckend und flackernd vor einem Himmel abzeichnet, welcher jetzt zweifelsohne dunkler wird. Er
hört den Klang eines Zupfinstruments, hört menschliche Stimmen, zu einem Gelächter erhoben, und undisziplinierte Bemühungen, ein Lied zu singen.
Er sucht sich seinen Weg hinauf zu den Geräuschen, wobei sich Erleichterung und ein unheimliches Gefühl des Verlusts wegen der heimgesuchten Straße, die er jetzt verlässt, die Waage halten. Und als er den oberen Treppenabsatz erreicht, auf einem Plateau aus zersplitterter weißer Steinpflasterung steht, die einstmals vielleicht der Boden eines Säulentempels oder Markplatzes gewesen ist, als er die in der Mitte zusammengestellten Wagen sieht, die fröhlichen Feuer und die bunt gekleideten Männer und Frauen, die darum versammelt sind, entdeckt er, dass er auf unerklärliche Weise in den Schatten am Rand des Platzes wie festgenagelt ist und keinen Schritt vorwärts setzen kann.
Es ist eine Frau, die ihn zuerst entdeckt. Sie trägt eine Weinflasche auf der Hüfte um das Feuer herum, zurück zu einem der Wagen und tut die obszönen Bemerkungen der Männer, die im Vorbeigehen mit halbherzigem, fröhlichem Ungeschick nach ihr greifen, achselzuckend ab. Sie wendet sich einen Moment lang vom Feuer weg, und dort steht er. In dem Moment, da ihre Blicke sich kreuzen, sieht er sich, wie sie ihn sehen muss: hager, schwarzer Mantel und schweigend, Schwertgriff im Rücken.
Er glaubt, dass sie aufkreischen wird, aber sie tut es nicht.
Hjel, ruft sie stattdessen. Wir haben Besuch.
Ringil hört den Namen über das Lagerfeuer zu seinem Besitzer hinübertreiben, hört den archaischen Sumpfdialekt des Naomischen, das die Frau benutzt, und in seinem Unterleib zuckt es plötzlich, ebenso wie eine Frage in seinem Kopf zuckt. Dort, am Rand des Feuers, die zusammengesunkene Gestalt, das Gesicht von einer Hutkrempe beschattet, eine Langhalsmandoline im Schoß …
Ringil kneift die Augen zusammen. Könnte es nicht – könnte es?
Das gezupfte Liedchen auf der Mandoline hört auf, die letzten Akkorde huschen in die Dunkelheit davon. Das Gemurmel des Gesprächs rund ums Feuer erstirbt. Einen Moment lang lässt der Spieler seine langen, geschmeidigen Hände auf dem Instrument liegen. Unter dem Hutrand hebt er langsam den Kopf. Glitzern von Augen, die den Schein des fröhlichen Feuers zurückwerfen.
Er ist es. Keine Frage.
Besuch. Nun gut. Hjel setzt sich elegant auf und reicht die Mandoline an eine Frau neben sich weiter. Er spricht dieselbe Sprache, genauso wie zuvor, Sumpf-Naomisch
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