Das kalte Schwert
sprechen?«
»Südseite.« Die Worte sprudelten jetzt aus ihr heraus. »Er liegt auf der Südseite. Auf der anderen Seite der Brücke und hinunter in das alte Fährenviertel. Am Ende der Kielmacherstraße.«
»Vielen Dank.«
38
Er war nicht rot, und er sah auch nicht besondern fröhlich aus.
Er sah tatsächlich so aus wie sämtliche verfallenen imperialen Tempel, die Ringil je zu Gesicht bekommen hatte – butterfarbene Steinpfeiler, zwischen die neueren Bauten zu beiden Seiten gequetscht, verwittert und vernarbt durch Jahrhunderte der Sonne, des Winds und des Kriegs und dann noch durch die neueren Plagen der Stadt, die darum gewachsen war. Bei näherer Betrachtung sah er überall dort, wo die Elemente die Oberflächen verschont hatten, thetannische Inschriften im Mauerwerk – Namen und Beleidigungen und schlechte Imitationen von Brandzeichen der Klans sowie Fragmente von Klosprüchen. Als er am Eingang in den Schatten trat, stank es nach Pisse.
Er sah auf den Straßenjungen hinab, der ihn hergeführt hatte. »Bist du je drin gewesen?«
»Nein, Mylord.« Der Junge wischte sich mit den Fingerknöcheln über eine vom Schnodder verschmierte Nase. »Es spuckt da drin. Die Dämonen der Küstenbewohner leben da drin.«
Beide standen einen Augenblick da und sahen auf die Tür, die einen schmalen Spalt offenstand.
Im Innern tiefe Schatten.
Ringil blickte sich um und schaute auf die sonnenhelle Straße zurück, wo der ältere Bruder des Jungen Wache stand. Er hielt
die Zügel und funkelte jeden an, der zu nahe vorüberkam. Es war größtenteils unnötig. Die Kielmacherstraße war eine ruhige, schmale Straße. Nicht viele Passanten kamen vorbei, und diese waren anscheinend gut geschult in nachbarlicher Diskretion – von einigen merkwürdigen Blicken abgesehen, schenkten sie betont der hageren Gestalt im schwarzen Mantel und deren Begleitern, den beiden Straßenjungen, keinerlei Beachtung. Ringil zuckte die Achseln, holte die versprochene Münze hervor und hielt sie außer Reichweite.
»Na gut. Die ist dafür, dass du mir den Weg hierher gezeigt hast. Du kriegst weitere drei davon, wenn ich rauskomme, ihr noch hier seid und mein Pferd noch sämtliche Beine hat. Kapiert?«
Das Gesicht des Jungen strahlte fast vor Freude. »Ja, Mylord.«
Ringil beugte sich herab, bis er Nase an Nase mit ihm dastand. »Und wenn du nicht hier bist, oder diesem Pferd ist was Schlimmes zugestoßen, dann möge die Offenbarung euren kleinen unsterblichen Seelen helfen! Weil euch diesseits der Hölle sonst nichts mehr hilft. Auch kapiert?«
Der Straßenjunge richtete sich zu seiner vollen sechs- oder siebenjährigen Größe auf. »Natürlich, Mylord. Ich schwöre, Mylord. Das Pferd ist bei uns sicherer als im Harem des Imperators.«
Eine fragwürdige Sicherheit, knurrte sein Kater. Würde diesem verdammten Jhiral nicht über den Weg trauen, wenn er was mit ’ner Körperöffnung vor sich hat.
Aber er richtete sich auf und warf dem Jungen die Münze zu, und der Junge schnappte sie sich aus der Luft wie ein Fisch eine Fliege. Dann stand er da, die Hände auf die Hüften gestemmt, und sah einen Moment lang zu, wie Ringil die gespreizten Finger gegen die Tür drückte und sich dagegen lehnte, um das
Gewicht zu überprüfen. Mehr wollte er offenbar nicht sehen. Er huschte wieder in die Sonne und zu seinem Bruder hinaus und ließ den narbengesichtigen Schwertkämpfer in den Schatten allein.
Die Türe bestand aus schwerer Calderaeiche, und Ringil musste sich mit vollem Gewicht dagegenstemmen, um sie mehr als ein paar Zoll über den ungleichmäßigen, schuttübersäten Pflastersteinen aufzudrücken. Aber unter einem entsetzlichen Knirschen gab sie beim zweiten Mal nach und öffnete sich ein paar Fuß. Ringil versetzte ihr einen schwungvollen Tritt, um den Spielraum zu vergrößern, und schlüpfte dann hinein. Ein paar wenige Sonnenstrahlen folgte ihm ins Innere, berührten seinen Mantel an der Schulter und ließen ihn dann los.
Im Tempel selbst gab es weitere abgenutzte Pflastersteine, und schlanke Säulen stützten ein zersplittertes und durchsackendes Dach. Kein Mobiliar, kein Tuch. Über allem lag einfach bloß ein kühles steinernes Schweigen wie eine Staubschicht. Hier und da drang die Sonne durch verzierte Luken auf Dachhöhe oder die Risse im beschädigten Dach herein – wo die Strahlen den staubigen Boden berührten, bildeten sie kleinen Flecken, so hell, dass sie zu glimmen schienen. Betrachtete er sie zu lange, ließen sich
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