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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Gesicht hatte er blutige Striemen von den unsichtbaren, tief hängenden Zweigen, die zurückschnellten, während er dem Schmied folgte. Er rannte blindlings weiter, die entsetzliche Furcht vor den Jagdhunden trieb ihn an wie eine Peitsche.
    Er hatte sie auf dem Marsch gesehen: Große graue Wolfstöter mit zotteligem Fell und Schnauzen, welche die Sklaven von der Seite anzugrinsen schienen, während die Hunde rastlos an ihren Leinen hin und her trabten. Die Angst, die sie erweckten, war eine Urangst. Einst, als Kind draußen im Sumpfland, hatte er gesehen, wie ein Mann von solchen Hunden erwischt worden war, ein Sträfling aus einer Familie der Sumpfbewohner, der aus einem der Gefängnisschiffe im Meeresarm entkommen und in der blinden Hoffnung auf Zuflucht verzweifelt nach Hause geflohen
war. Gerin war damals gerade einmal vier oder fünf Jahre alt gewesen, und die Geräusche, die der Mann von sich gab, als ihn die Hunde zu Boden rissen, steckten ihm tief im Schädel an einer Stelle, die Gefühlen des Entsetzens vorbehalten war, für die ihm die Worte fehlten.
    Aber die Erinnerung brachte einen bewussten Gedanken mit sich. Er packte den Schmied beim Hemd und riss an dem dahin stolpernden Mann, woraufhin ihm ein weiterer Zweig ins Gesicht schlug. Er spuckte Fichtennadeln aus, wischte sich die triefende Nase und suchte nach Worten.
    »Warte – bleib stehen, stehen bleiben!«
    Die beiden kamen keuchend zum Stehen, an einem trockenen steilen Abhang, umgeben von Schösslingen und dichtem Unterholz. Sie standen da, hielten einander aufrecht und rangen nach Luft. Rechts schlug sich jemand lautstark durch die Bäume, zu weit entfernt, als dass sie ihn in dem dichten Unterholz hätten erkennen können. Er bewegte sich von ihnen weg, sodass das Getrampel leiser wurde. Die kühle, nach Regen duftende Stille der Fichten hüllte sie ein. Abrupt machte sich die zusammengebackene Masse des Eintopfs in Gerins Magen bemerkbar, stieg ihm heiß in die Kehle. Er beugte sich vor und erbrach sich. Der Schmied starrte ihn bloß an.
    »Verdammt, wozu hast du mich angehalten?« Doch er rührte sich nicht.
    »Nicht gut.« Gerin stand noch immer vornübergebeugt da, die Hände auf die Knie gestützt, hustend und würgend. Fäden von Schnodder und Speichel, silbern in dem schwachen Licht, die Stimme selbst ein dünner Faden. »So zu laufen. Nicht gut. Sie haben Hunde.«
    »Ich höre die verdammten Köter, Junge! Warum laufen wir, was meinst du?«

    Gerin schüttelte den gesenkten Kopf; sein Atem ging immer noch hektisch. »Nein, hör zu! Wir müssen …« Er spuckte, gestikulierte. »… Wasser finden, einen Fluss oder so. Müssen den Duft loswerden.«
    Der Schmied schüttelte den Kopf. »Was soll das? Jetzt bist du auch noch ein Experte darin, wie es ist, von Hunden gehetzt zu werden?«
    »Ja.« Gerin richtete sich zitternd wieder auf. »Bin ich. Ich habe den größten Teil meines Lebens die Wache von Trelayne und ihre Köter draußen im Sumpf abgeschüttelt. Ich sag’s dir. Wir müssen Wasser finden.«
    Der Schmied schnaubte und brummelte etwas Unverständliches. Aber als Gerin sich umschaute, eine Richtung auswählte und sich wieder gewaltsam seinen Weg durch das Blattgewirr bahnte, folgte ihm der Mann wortlos. Vielleicht lag es an dem Vertrauen, das er sich durch den gelungenen Trick mit dem Schaum vor dem Mund und dem Anfall errungen hatte, vielleicht bloß an einem allgemeinerem Zutrauen. In der Stadt zirkulierten eine unendliche Vielzahl an Sagen und Märchen über die Sumpfbewohner; dass sie Wasser im Wind riechen und einen dorthin führen konnten, war allgemeiner Glaube. Gerin überfiel erneut die Angst, und er versuchte den Mythos ebenso zu glauben, wie es sein Gefährte aus der Stadt anscheinend tat.
    Wiederholt drückte er Blut aus einem kleinen Schnitt auf seinem Gesicht, vermengte ihn mit Speichel auf dem Daumenballen und blies sanft auf das Gemisch. Unhörbar brummelte er das rasche Gebet an Dakovash, das er auf dem Knie seiner Mutter erlernt hatte:
    … Salzherr, Meister des Schattens und der wechselnden Winde, aus dem kalten Quartier des Winds und dem Westen, höre mich jetzt an und strecke deine krumme Hand nach mir aus …

    Und vielleicht war es einfach eine Gewohnheit aus der Kinderzeit, das einfachere Selbstbewusstsein, das sie mit sich brachte, oder die flüchtige Erinnerung an die Wärme der Mutter, aber das Unterholz vor ihm schien jetzt etwas nachgiebiger zu sein, die Äste und Zweige schienen seine Haut etwas

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