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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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summten. Das spätmorgendliche Sonnenlicht fiel auf das Wasser. Ringil beschattete sich das Gesicht, kniff die Augen zusammen und spähte zu den Bäumen auf der anderen Seite hinüber. Es waren etwa dreißig Meter, eine leichter Querung für die Pferde, kein Schwimmen erforderlich.

    Wenn jemand unter den Bäumen war, hielt er sich sehr still.
    Da ist niemand unter den beschissenen Bäumen, Gil, und du weißt es. Wir haben es hier mit dem örtlichen Militär und der Grenzpatrouille zu tun, nicht mit einer Vorhut aus erfahrenen Soldaten. Sie sind alle in Xanthippes Lager, schlachten deine Männer ab und wahrscheinlich auch die Sklaven, als Dreingabe. Begreif doch – du bist ohne einen Kratzer aus der Sache rausgekommen.
    Trotz alledem nahm er die Zügel in die Hand und führte sein Pferd zu Fuß ins Wasser, langsam und bereit, eilig zurückzuweichen und den Körper des Tiers als Deckung zu benutzen, falls am anderen Ufer auf einmal Soldaten mit Armbrüsten aus dem Boden sprossen. Er prüfte jeden Stiefelschritt auf dem Grund des Flusses und wandte den Blick nicht vom Laub ab.
    Eril stieg hinter ihm ab und folgte ihm auf dem Fuß.
    Sie durchquerten den Fluss wortlos, wateten durch die sanften Wirbel des Wassers an ihrer Hüfte und eine seltsam sonnenberührte Stille, die, unabhängig von dem gedämpften Tosen der Stromschnellen weiter oben, zu existieren schien. Zwei Vögel jagten einander schrill keifend nur wenige Fuß über der Wasseroberfläche. Kiefernnadeln und hellgelbes Laub glitten auf der Strömung vorüber. Es war …
    Der Leichnam erfasste ihn, bevor es ihm recht bewusst geworden wäre. Stieß ihn im Wasser gegen die Seite, getragen von der Strömung. Ein schlaffer Arm schlang sich um seine Hüfte wie mit der letzten Anstrengung eines erschöpften Schwimmers.
    »Verdammt!«
    Der Fluch sprang aus seinem Mund, als hätte er einen Schlag in den Nacken bekommen. Seine Nerven lagen immer noch blank von dem Gemetzel des Morgens und waren durch die Beobachtung des gegenüberliegenden Ufers zum Zerreißen gespannt; er zuckte zusammen wie eine honorige Jungfrau, die
ihren ersten erigierten Schwanz berührte. Er warf sich zurück, riss abwehrend die Hände hoch und verlor vor Schreck fast das Gleichgewicht.
    Hatte gerade noch die Geistesgegenwart, die Zügel loszulassen und sein verdammtes Pferd nicht zu ertränken.
    Um Hoirans willen, Gil. Reiß dich zusammen!
    Er fand wieder Halt, streckte die Hand nach dem Pferd aus und lockte es zu sich. Der tote Mann, der sich an seiner Hüfte verfangen hatte, wollte anscheinend dort kleben bleiben. Ein wenig verlegen, weil er so kleinmädchenhaft reagierte, räusperte sich Ringil und betrachtete ihn. Vollgesogene Kleidung, Luftblasen am Rücken, das Gesicht unter einem Schopf treibenden, schlaffen, dunklen Haars. Die Federn von Armbrustbolzen ragten steif aus dem Wasser; er war in den Rücken getroffen worden.
    Ein dunkler, erschöpfter, vom Krieg herrührender Impuls veranlasste ihn, den Leichnam an der Schulter zu berühren. Er zog den klammernden Arm sanft weg und drehte den Leichnam um. Das Gesicht sagte ihm nichts. Schlichte naomische Züge, etwa vierzig, abgenutzt durch harte Arbeit für den Lebensunterhalt, dazu ein paar kleine Narben, die nicht aussahen wie Spuren eines Kampfes. Das spitze Ende des Bolzens ragte etwa eine Handbreit aus der Brust. Die treibende Hand, die bis eben Ringils Hüfte umschlungen hatte, hatte plumpe Finger und war schwielig von lebenslanger harter Arbeit, wies jedoch wunde Fesselmale an den Handgelenken auf, die vom Wasser gebleicht und weißlich-rosafarben waren.
    Der Leichnam öffnete die toten schwarzen Augen und starrte zu ihm auf.
    »Machst besser die Fliege!«, zischte er.
    Diesmal ließ ihn der Schock erstarren, fuhr ihm schaudernd durch die Adern wie eisiges Wasser und legte kalte Klammern
um seine Schläfen. Er packte den Leichnam fester, wie um ihn zu ertränken, und hörte ein ersticktes Geräusch aus seiner eigenen Kehle.
    Eine Hand fiel ihm auf die Schulter.
    »Alles in Ordnung, Kumpel?«
    Erils Stimme, besorgt. Er hatte sein Pferd neben Ringils geführt und spähte seinem Gefährten neugierig ins Gesicht. Ringil erwiderte blinzelnd den Blick, und etwas veränderte sich in der sonnenhellen Luft. Er starrte ins Wasser auf den schweren Ast mit der schwarzen Borke und den tödlichen Griff, mit dem er ihn umklammert hielt. Auf den krummen, verdrehten Stamm, der sich im Wirbel des Flusses herumwälzen wollte.
    Es war bloß ein Stück

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