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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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auf, vollführte, halb blind in dem jähen Ansturm von Sonnenlicht, einen Satz zur Seite über den glatten Fels zu der Stelle, wo der Rabenfreund in seiner Scheide lag.
    Wusste auf irgendeiner instinktiven Ebene, dass er seine Zeit vergeudete.
    So oder so kauerte er jedoch da und war bereit zum Zuschlagen, eine Hand auf dem Griff des Schwerts, die andere tief unten um die Scheide gelegt, wie Grashgal es ihn gelehrt hatte, sodass die Klinge durch den vorgefertigten Schlitz fahren könnte, ohne ihm unterwegs die Finger abzuhacken.
    Er sah sich blinzelnd in der hellen Luft um, suchte nach der Stimme.
    »Oder wäre Ringil von der Galgenschlucht die angemessenere Bezeichnung?«

    Etwas schien mit dem Licht geschehen zu sein. Es war, als träte man an einem Sommernachmittag in den Niederungen aus der Sonne irgendwo hinein in das jähe Halbdunkel, bevor sich die Augen an die Veränderung gewöhnt hatten. Als bestünde der Tag aus einem blassblauen Stoff, und etwas könnte ihn abrupt durchnässen.
    Eine Gestalt im Mantel stand kein halbes Dutzend Meter entfernt da und beobachtete ihn.
    Ein Schlapphut beschattete ein Gesicht, auf dem sich merkwürdig schwer Einzelheiten erkennen ließen – später erinnerte sich Ringil lediglich an das Lächeln, an die schmalen, zusammengepressten Lippen sowie an ein kaltes, abschätzendes Licht in den Augen. Beim näheren Hinsehen war der Mantel ein schmutziges und abgenutztes Flickenwerk aus Leder, ein Flicken über dem anderen, sodass sich kaum sagen ließ, wo, wenn überhaupt, das ursprüngliche Material verblieben war. Schlichte Seemannsnäherei, und hier und da mittendrin das verzierte Runenwerk eines Zaubers gegen Meuterei oder Stürme. Ihm fielen Egars gebrummelte, halb ungläubige Worte auf der gestohlenen Fähre wieder ein, als sie flussabwärts trieben – genau, wie es in der verdammten alten Legenden heißt, Mann; Mantel und Hut eines Kapitäns, die ganze Sache. Steht einfach da.
    Steht einfach da.
    Ohne Waffe.
    Unmöglich – verdammt noch mal unmöglich –, dass etwas Menschliches sich so an ihn hätte heranschleichen können.
    Ringil richtete sich aus seiner Hocke auf. Er ließ den Rabenfreund nicht los. Tief in seiner Brust pulsierte etwas, und ebenso in seinen Händen, etwas, das eigentlich ein Zittern hätte sein sollen, jedoch keines war, sondern enger, sanfter, und das ihm mehr Angst einjagte, weil er nicht wusste, wohin es führen
könnte. Die Welt um ihn her war anders geworden, selbst der Gesang der Vögel gedämpfter durch die Gegenwart. Sein Blick flackerte kurz zu Erils hingestreckter Gestalt, er sah die weichen Züge des schlafenden Mannes und wusste, dass sein Gefährte erst erwachen würde, wenn der Fremde verschwunden wäre, mochte jetzt geschehen, was wollte.
    Na gut.
    Er zwang sich, wieder den Neuankömmling anzusehen, was ebenso schwierig war, wie einen eisernen Schürhaken zu verbiegen. Begegnete den kalten und neugierigen Augen, dem darin liegenden Warten.
    »Du bist spät dran«, sagte er hart.
    Das schmallippige Lächeln lockerte sich etwas und zeigte Zähne. »Du hast mich erwartet?«
    Ringil schüttelte den Kopf, und die winzige Bewegung schien ihm ein klein wenig Kontrolle zurückzugeben. Aus kalkigen Tiefen und den Erinnerungen an Seethlaw beschwor er eine schreckliche, labile Ruhe herauf.
    »Ich nicht. Ich spreche von jemandem, den ich gestern Abend getroffen habe, ein Junge aus den Sümpfen namens Gerin – er hat dich um Hilfe gebeten, unten am Fluss. Kurz vor seinem Tod hat er mir erzählt, dass er zum salzigen Herrn gebetet hat. Hat um Hilfe gebettelt, vermute ich mal angesichts seines Zustands. Also, was ist los, salziger Herr – bist du dieser Tage etwa taub? Müssen wir unsere Gebete ein bisschen lauter schreien, oder was?«
    Die Augen wichen nicht von ihm, aufmerksam und leicht amüsiert, als wäre er ein Schauspieler auf den Straßen von Strov in einem nicht ganz so ermüdenden Stück.
    »Bringt dich wirklich das unbeantwortete Gebet dieses Jungen so auf, Ringil Eskiath? Oder das Gebet eines anderen Jungen, vor langer Zeit?«

    Ringils Knöchel auf dem Griff des Rabenfreunds wurden weiß. »Du meinst, ich wäre aufgebracht? Wenn ich aufgebracht wäre, salziger Herr, würdest du es bestimmt wissen.«
    »Soll ich das als Drohung auffassen?«
    »Fasse es auf, wie du willst, verflucht!«
    Eine Komponente dieses Pochens in seinen Händen, in seiner Brust und in seinem Blut war gewiss Furcht, ein herabschießender Schatten des Entsetzens

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