Das Karpaten-Projekt
sehr, dass Katharina
Mühe hatte, sie zu verstehen. »Ist noch auf der Flucht«, riet sie.
»Wer ist auf der Flucht?«
»Es geht gegen den Mann, der die Fütterungen vergiftet
hat«, flüsterte Viola.
»Der hat Hulanu erschossen?«
»Ich darf nichts sagen, Katharina. Wirklich nicht. Es ist
ein, wie sagt ihr Deutschen noch, ein schwebendes Verfahren.«
»Aber Viola, jetzt, wo ich zurück bin und mit dem Forstministerium
zusammenarbeite, sind wir doch fast wieder Kolleginnen wie früher.«
»Trotzdem, Ina, kann ich dir jetzt nichts sagen«,
quengelte die Sekretärin.
Nach dem Telefonat tigerte Katharina Orend durch die
Wohnung wie ein Zirkustier im Käfig, lief Furchen in den Flokati, trank kalten
Tee im Stehen und überlegte, was Hulanus Tod für sie bedeutete. Trauer mochte
sich nicht einstellen. Dazu hasste sie den Forstamtsleiter zu sehr. Sie dachte
an seinen Auftritt beim vice-primar und erschrak. Wenn dieser Futtervergifter tatsächlich Hulanus Mörder war, dann
hatte sie ein Problem. Auch wenn sie den Kerl gar nicht kannte. Hulanu hatte
sie mit ihm in Verbindung gebracht, und der Polizeichef hatte dabeigesessen und
sich am Hals gekratzt.
Katharina stürzte zurück an den Computer und checkte die
Internetausgaben der rumänischen Zeitungen. Die meisten meldeten den Mord unter
›ferner liefen‹. Die Texte waren identisch, offenbar zitierten alle die
Presseerklärung der Polizei. Bis auf ein Radaublatt aus Bukarest, das zu wissen
glaubte, der Forstamtsleiter von Brasov sei im Dienst von einem ausländischen
Terroristen hinterrücks erschossen worden. So wörtlich.
Sie hätte sich gern über den Fall ausgetauscht. Der Einzige,
dem Katharina vertraute, hieß Ovidiu Vandra und ging noch immer nicht ans
Telefon. Hektisch klapperte sie ihre CDs durch, probierte es mit Puccini. Der
half heute nicht. In der Wohnung unter ihr tobte der Dritte Weltkrieg.
Katharina musste raus. Sie schnappte ihr Telemetriegeraffel aus der
Abstellkammer und stürmte die Treppen hinunter.
Es war noch zu früh für die Jepilor -Straße, gerade acht vorbei. Sie nahm den Waldweg unter die
Füße. Wie eine lang gestreckte Rampe führte er direkt durch die Tageseinstände
der Bären. Drei Dutzend Petze lagen in den Jungbuchen links und rechts des
Weges und dösten der Dämmerung entgegen. Ein merkwürdiges Gefühl. Katharina
empfing von dem Altbären, den sie vor zwei Wochen besendert hatte, ein lautes,
konstantes Signal. Scarface pennt noch, dachte sie und wechselte die Frequenz.
An Ursel hatte sie die letzten Tage nicht mehr gedacht.
Der Tod des Mädchens hatte den ersten Unfall überschattet. Wahrscheinlich war
es Ursel, die dem Jungen mit der Milchflasche die Pranke an den Kopf geknallt
hatte. Katharina war zwar nicht dabei gewesen, aber die Beschreibungen der
Bärin und ihrer Jungen hörten sich sehr nach Ursel an: eher helles Fell und ein
langer, schmaler Kopf wie von einem Eisbären.
Sie wanderte den stetig steigenden Pfad entlang und
drehte die Antenne in alle Richtungen. Es kam kein Signal. Es war das erste
Mal, dass sich einer der besenderten Bären aus Ra c a d a u entfernte. Sie waren regelrechte
Mülljunkies geworden, die es keinen Tag ohne eine Dröhnung Abfall aushielten.
Wahrscheinlich hat Ovidiu recht und es bleibt uns nicht erspart, die
Abhängigsten zu töten. Die Tierfreundin Katharina erschrak bei dem G edanken,
den die Biologin Orend gedacht hatte.
Vor dem Himbeerfeld an einer lichten Stelle des Waldes
kehrte sie um. Die Früchte waren reif und süß, und der Pfad, der
hindurchführte, schmal und kaum einzusehen. Sie wollte nicht in einen
schmausenden Bären rennen. Quer durch das lichte Altholz ging sie zur Strada Jepilor hinunter, die Wechsel der
Bären bewusst meidend.
Unten am Müll war noch nichts los. Keine Petze, keine
Gaffer, keine Polizei. Sie fragte sich, wann comisar sef Samabul sein Versprechen einlösen und eine Streife
schicken würde. Bei der Schule stand ein Kleinwagen mit Bukarester Kennzeichen.
Der Mann, der mit halbem Hintern auf dem Kotflügel saß und rauchte, sah nicht
nach Rumäne aus. Er war ziemlich lang, Katharina schätzte über eins neunzig,
schlacksig und fast kahl auf dem Kopf. Er hatte eine Kladde in der Hand, sah zu
den Containern hinüber und machte sich Notizen. Der Typ mochte fünfzig und
irgendwas sein, etwa so alt wie ihr Vater. Aber ihm fehlte das Daddyhafte ihres
Alten. Er trug eine grüne Cargohose, die Ärmel seines karierten Hemdes hatte er
bis über die
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