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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ich durch dieses Wunder-
    ding erkennen konnte, daß Ihr die Landstraße von Werst
    herabkamt, Ihr und auch ...«
    Er vollendete den Satz nicht. Über Miriotas Wangen war
    eine tiefe Röte geflogen, und das Mädchen schlug die hüb-
    schen Augen nieder. Und eigentlich ist es doch gar nicht
    verboten, daß ein ehrbares Mädchen ihrem Verlobten ent-
    gegengeht.
    Sie und er, der eine nach der andern, ergriffen nun das
    Fernrohr und richteten es auf die Burg.
    Jetzt hatten sich auch noch ein halbes Dutzend Nachbarn
    auf der Terrasse eingefunden und probierten, nachdem sie

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    von seinen Eigenschaften erfahren hatten, einer nach dem
    andern das merkwürdige Instrument.
    »Rauch, Rauch über der Burg!« rief der eine.
    »Vielleicht hat der Blitz in den Wartturm eingeschlagen«,
    bemerkte ein anderer.
    »Hat es denn etwa gedonnert?« wandte sich Meister
    Koltz an Frik.
    »Seit 8 Tagen keinen Laut!« versicherte der Schäfer.
    Die biederen Landleute wären wahrlich auch nicht ver-
    blüffter gewesen, wenn man ihnen gesagt hätte, daß sich auf
    dem Gipfel des Retyezat ein Krater geöffnet habe, um die
    unterirdischen Dünste austreten zu lassen.
    3
    Die Dorfschaft Werst ist so unbedeutend, daß die meisten
    Landkarten ihre Lage gar nicht angeben. Bezüglich der Ver-
    waltungsangelegenheiten steht sie sogar noch unter ihrem
    Nachbarort Vulcan, so genannt nach dem Teil des Gebirgs-
    stocks von Plesa, auf dem beide Gemeinden malerisch an-
    geheftet sind.
    Heutzutage hat die Ausbeutung der hiesigen Mineralien-
    lagerstätten den Flecken Petroseny, Livadzel und anderen,
    die in der Entfernung weniger Meilen im Umkreis liegen,
    ein nicht zu unterschätzendes geschäftliches Leben zuge-
    führt. Weder Vulcan noch Werst haben von der Nähe des
    großen industriellen Zentrums irgendwelchen Nutzen ge-
    zogen; was diese Dörfer vor 50 Jahren waren, das werden sie
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    sicher noch nach einem halben Jahrhundert so sein, wie sie
    es heute sind, und nach Elisée Reclus besteht reichlich die
    Hälfte der Bewohnerschaft von Vulcan nur »aus Beamten
    zur Überwachung der Grenze, aus Zöllnern, Gendarmen,
    Steuereinnehmern und Krankenpflegern der Quarantäne-
    anlagen«. Rechnet man die Gendarmen und Steuereinneh-
    mer ab und eine geringe Anzahl Landbauern hinzu, so hat
    man die Bevölkerung von Werst – im ganzen 400 bis 500
    Köpfe.
    Das Dorf besteht aus einer einzigen Straße, einer breiten
    Straße, deren bergiger Charakter das Fortkommen darauf
    auf- wie abwärts recht unangenehm erschwert. Sie dient als
    natürlicher Verbindungsweg zwischen der walachischen
    Grenze und dem inneren Siebenbürgen. Über sie ziehen die
    Herden von Rindern, Schafen und Schweinen, die Händler
    mit frischem Fleisch, mit Baum- und Feldfrüchten, sowie
    die wenigen Reisenden, die den Bergpaß wählen, statt sich
    der Bahnlinie von Kolosvar und des Tals des Maros zu be-
    dienen.
    Die Natur hat den Kessel zwischen den Bergen von Bi-
    har, dem Retyezat und dem Paring wirklich verschwen-
    derisch bedacht. Reich schon durch die Fruchtbarkeit des
    Erdbodens, ist er es noch mehr durch die Schätze, die un-
    ter ihm lagern, wie die Steinsalzlager bei Thorda, mit einer
    jährlichen Ausbeute von über 20 Millionen Tonnen; der
    7 Kilometer im Umfang messende Berg Parajd, der durch
    und durch aus Chlornatrium besteht; die Erzgruben von
    Torotzko, die viel Blei, Bleiglanz, Quecksilber, besonders
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    aber Eisen liefern und deren Schächte und Stollen schon
    seit dem 10. Jahrhundert abgebaut werden; das Bergwerk
    von Vayda Hunyad, aus dessen Erzen ein ausgezeichneter
    Stahl hergestellt wird; ferner Steinkohlengruben, die in die-
    sem einstigen Seegebiet schon in den obersten Schichten
    schöne Kohle enthalten und deshalb leicht zu bearbeiten
    sind (hierzu gehören die Gruben in den Bezirken Hatszeg,
    Livadzel und Petroseny), zusammen eine ungeheure Abla-
    gerung, deren Inhalt auf 200 Millionen Tonnen geschätzt
    wird; endlich die Goldfundstätten beim Schloß Offenbanya
    bei Topanfalga, jenes Gebiet der Goldwäscher, wo unzählige
    sehr einfach konstruierte Mühlen den kostbaren Sand von
    Verés-Patak auswaschen und jährlich für 1 Million Gulden
    des edlen Metalls ausführen.
    Nach dem Vorstehenden scheint hier also ein von der
    Natur recht begünstigtes Land zu sein, und doch hat die-
    ser Reichtum zum weiteren Gedeihen der Bewohner nicht
    im mindesten beigetragen. Wenn auch die wichtigeren Ort-
    schaften, Toretzko, Petroseny und

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