Das Karpatenschloß
Rosza Sandor mit den Zollwächtern
der Grenze getötet worden sei.
Das war jedoch ein Irrtum, obgleich sich der Baron von
Gortz seit jener Zeit niemals wieder in der Burg gezeigt
hatte und deshalb jedermann an seinen Tod glaubte. Was
sich eine so abergläubische Bevölkerung wie die hiesige in
die Ohren raunt, darf man eben immer nur mit starkem
Zweifel hinnehmen.
Ein verlassenes, ein verzaubertes, von Geistern heimge-
suchtes Schloß! Die glühend lebhafte Einbildungskraft der
Leute hat es gar bald mit Trugbildern bevölkert; da erschei-
nen Gespenster und kehren zu nächtlicher Stunde die Geis-
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ter der Abgeschiedenen ein. Ganz ähnlich geht es ja auch
in anderen abergläubischen Landstrichen Europas noch zu,
Transsilvanien kann unter diesen aber entschieden den ers-
ten Rang beanspruchen.
Wie hätte auch die Dorfschaft Werst mit dem Glauben
an die übersinnliche Welt brechen können! Der Pope und
der Schullehrer, dieser mit der Erziehung der Kinder, jener
mit der religiösen Fürsorge für die Gläubigen betraut, lehr-
ten jene Fabeln desto unbedenklicher, als sie selbst daran
glaubten. Sie versicherten »unter Beibringung von Bewei-
sen«, daß noch Werwölfe im Land hausten, daß Vampire,
Stryges genannt, weil sie Schreie wie die Strygien ausstoßen,
sich von Menschenblut ernährten; daß »Staffii« durch die
Ruinen streichen und allerlei Übel verbreiteten, wenn man
es unterließ, ihnen jeden Abend Speise und Trank anzu-
bieten. Da gibt es Feen, »Babes«, denen man dienstags und
freitags – den beiden Unglückstagen der Woche – nicht be-
gegnen darf. Nun wage sich nur einer in tiefere Wälder des
Komitats, in jene verhexten Wälder, in denen die »Balauri«
lauern, jene riesigen Drachen, deren Kinnladen sich bis zu
den Wolken hinauf öffnen, oder die »Zmei« mit unmäßig
großen Flügeln, die die Königstöchter und auch Mädchen
geringer Herkunft entführen, wenn diese nur hübsch sind.
Hier schwärmt also eine Menge furchtbarer Geschöpfe um-
her, denen die Einbildung des Volkes keinen anderen Helfer
entgegenzustellen weiß, als die »Serpi de casa«, die Haus-
schlange, die vertraulich am häuslichen Herd lebt und de-
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ren heilsamen Einfluß sich der Bauer dadurch erkauft, daß
er sie mit seiner besten Milch füttert.
War nun jemals eine Burg geeignet, solchen Wesen der
rumänischen Mythologie als Zuflucht zu dienen, so war es
gewiß das Karpatenschloß.
Auf dieser vereinsamten Hochebene, die außer von der
linken Seite des oberen Teils des Vulcan ganz unzugänglich
war, mußten ja nach Anschauung der Leute Drachen, Feen,
Stryges, vielleicht auch verschiedene Schatten aus der Fa-
milie der Barone von Gortz ihr Wesen treiben. Daher stand
die Burg in ganz üblem Ansehen und das, wie man sagte,
mit vollem Recht. Kein Mensch hätte es gewagt, sie zu be-
suchen. Sie verbreitete eine Art epidemisches Entsetzen um
sich, wie ein ungesunder Morast, der pestilenzialische Mi-
asmen aushaucht. Schon wer sich ihr auf eine Viertelmeile
näherte, setzte damit sein Leben in dieser und sein Seelen-
heil in jener Welt aufs Spiel. Solche Lehren gingen aus der
Schule des Magisters Hermod hervor.
All das sollte allerdings ein Ende nehmen, wenn von der
alten Feste der Barone von Gortz kein Stein mehr auf dem
andern lag – und hier knüpfte eben die Legende an.
Nach Aussage der angesehensten Leute von Werst hing
der Bestand der Burg mit dem einer uralten Buche zusam-
men, deren Astwerk über die Winkelbastion zur Rechten
des mittleren Walls emporstarrte.
Seit der Abreise des Baron Rudolph von Gortz verlor
diese Buche – die Dorfbewohner und vor allem der Schäfer
Frik hatten es beobachtet – jedes Jahr einen ihrer Hauptäste.
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Man hatte davon 18 vom Stamm aus gezählt, als der Baron
Rudolph zum letzten Mal auf der Plattform des Turms zu
sehen gewesen war, und jetzt trug der Baum nur noch drei.
Jeder abgefallene Ast bedeutete nun für die Burg ein weite-
res abgelaufenes Jahr ihres Bestands; das Niederbrechen des
letzten sollte der allgemeinen Annahme nach ihre völlige
Vernichtung herbeiführen; dann würde man auf dem Pla-
teau von Orgall vergeblich nach den Überresten des Karpa-
tenschlosses suchen.
Natürlich war das nur eine der Sagen, die von der Phan-
tasie der Rumänen selbst zahlreich geboren wurden. Sogar
die Behauptung, daß die alte Buche alljährlich einen ihrer
Äste verliere, war
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