Das Karpatenschloß
Rauchs auf dem Wartturm und
nach der seltsamen Erfahrung mit der in der Gaststube
des ›König Mathias‹ gehörten Stimme, kann es nicht wun-
der nehmen, daß die gesamte Bevölkerung ganz aus dem
Häuschen war. Einige Zigeuner sprachen schon davon, das
Land zu verlassen. In den Familien unterhielt man sich von
nichts anderem ... aber nur nur mit ganz leiser Stimme. Wer
hätte denn noch gewagt zu leugnen, daß es einen Teufel,
den »Chort« gab, der von jener an den jungen Forstmann
gerichteten Warnung Kenntnis hatte? In Jonas’ Wirtshaus
waren ja mindestens 15 der glaubwürdigsten Personen an-
wesend gewesen, die jene merkwürdigen Worte selbst mit
vernommen hatten, so daß die Annahme, sie wären nur
das Opfer einer Sinnestäuschung gewesen, ganz unhaltbar
schien. Nein, da gab es keinen Zweifel; Nic war unter Nen-
nung seines Namens gewarnt worden; ihm sollte ein Un-
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glück zustoßen, wenn er wirklich so kühn war, das Karpa-
tenschloß zu durchsuchen.
Und der junge Forstmann wollte das noch obendrein
unternehmen, ohne daß er dazu gezwungen war. Obwohl
Meister Koltz viel daran gelegen sein mußte, das Geheimnis
der Burg zu entschleiern, und obwohl das ganze Dorf ein
Interesse daran hatte zu erfahren, was dort wirklich vorging,
hatte man doch keine Mühe gespart, Nic zur Zurücknahme
seiner Worte zu bewegen. Verweint, verzweifelt, die Augen
noch voller Tränen hatte Miriota ihn angefleht, sich das
Abenteuer aus dem Sinn zu schlagen. Schon vor jener ge-
heimnisvollen Warnung erschien das ja sehr ernst, danach
war es geradezu sinnlos zu nennen. Jetzt, fast am Vorabend
seiner Hochzeit, wollte Nic sein Leben bei einem solchen
Versuch aufs Spiel setzen, und selbst seine Verlobte, die vor
ihm auf den Knien lag, konnte ihn nicht davon abbringen.
Auf den Förster machten jedoch, ebenso wie die Be-
schwörungen seiner Freunde, die Tränen Miriotas keinen
merklichen Eindruck. Das verwunderte übrigens nieman-
den. Die Leute kannten ja seinen entschlossenen Charakter,
seine Zähigkeit, um nicht zu sagen, seine Starrsinnigkeit.
Er hatte einmal gesagt, daß er in das Karpatenschloß gehen
werde, und davon konnte ihn nun nichts mehr abbringen,
nicht einmal jene direkt an ihn gerichtete Drohung. Ja, er
wollte zur Burg gehen, selbst wenn er von da nimmermehr
zurückkehrte!
Als die Stunde zum Aufbruch gekommen war, drückte
Nic Deck seine Miriota noch einmal ans Herz, während das
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junge Mädchen sich mit dem Daumen-, Zeige- und Mittel-
finger bekreuzigte, was nach rumänischer Sitte als Huldi-
gung an die Dreifaltigkeit gilt.
Und der Doktor Patak? Nun, der arme Kerl, der sich ge-
nötigt sah, den Förster zu begleiten, hatte noch immer ver-
sucht, davon loszukommen – allerdings ohne Erfolg. Was er
nur dagegen sagen konnte, hatte er gesagt. Auch die Geister-
stimme hatte er angeführt, die ja ganz ausdrücklich verbot,
das Schloß zu betreten.
»Oh, jene Drohung galt nur mir allein«, gab ihm Nic
Deck darauf einfach zur Antwort.
»Und wenn Euch nun ein Unglück zustieße, Förster«,
hatte der Doktor geantwortet, »würde ich denn dann ohne
Schaden davonkommen?«
»Schaden oder nicht, Ihr habt nun einmal zugesagt, mit
mir zum Schloß zu gehen, und das werdet Ihr tun, weil ich
eben dahin gehe!«
Da sie einsahen, daß den jungen Forstmann nichts ab-
halten würde, sein Versprechen einzulösen, gaben ihm die
Leute von Werst nun in dieser Hinsicht ganz besonders
recht. Es war doch auf jeden Fall besser, daß Nic Deck sich
nicht allein in dieses Abenteuer stürzte. Auch der Doktor
gab zwar voller Angst endlich klein bei, da ihm doch jeder
Rückzug abgeschnitten war, er seine ganze Stellung im Dorf
gefährden und sich sagen mußte, daß man ihn nach seinen
gewohnten Prahlereien herzlich auslachen würde. Dennoch
klammerte er sich immer an die Hintertürchen, schon das
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kleinste unterwegs auftretende Hindernis zu benutzen, um
seinen Gefährten zur Rückkehr zu bewegen.
Nic Deck und Doktor Patak machten sich also auf den
Weg, und Meister Koltz, Miriota, Hermod, Frik und Jonas
begleiteten sie bis zur nächsten Biegung der Landstraße, wo
sie zurückblieben.
Hier richtete Meister Koltz zum letztenmal das Fern-
rohr – das er jetzt nicht mehr aus der Hand legte – auf das
Schloß. Aus dem Schornstein des Turms stieg kein Rauch
empor, denn der wäre bei der klaren Luft des schönen Früh-
jahrsmorgens unzweifelhaft
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