Das Karpatenschloß
hätte
vollkommener formen können. Und diese Frau erblühte
zur seltensten Künstlerin, zu einer zweiten Malibran, von
der Musset ebenfalls hätte sagen können: »Auf deiner Töne
Schwingen flog der Schmerz hinauf zum Himmel!«
Eine solche Stimme aber, die der allbeliebte Dichter in
seinen unsterblichen Stanzen gefeiert hat: » ... des Her-
zens eigne Stimme, die allein zum anderen Herzen dringt«,
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eine solche Stimme war die La Stillas in ihrer ganzen unbe-
schreiblichen Herrlichkeit.
Die große Künstlerin, die mit so unnachahmlicher Treue
die Töne der zärtlichen Liebe, der mächtigsten Seelenerre-
gungen wiedergab, hatte – wie man allgemein behauptete –
im eigenen Herzen doch noch nie deren himmlische Macht
verspürt. Noch nie hatte sie geliebt, nie mit dem Auge einen
jener Tausende von Blicken beantwortet, die auf der Bühne
unausgesetzt an ihr hingen. Es schien, als lebte sie nur in ih-
rer Kunst, einzig und allein für diese.
Gleich beim ersten Mal, wo Franz La Stilla sah, fühlte er
sich von dem unwiderstehlichen Zwang einer ersten Liebe
zu ihr hingezogen. Sofort beschloß er, unter Verzicht auf
sein Vorhaben, nach dem Besuch Siziliens Italien endgültig
zu verlassen, jetzt bis zum Schluß der Saison in Neapel zu
bleiben. Als ob ein unsichtbares Band, das er nicht zu spren-
gen vermochte, ihn an die Sängerin fesselte, wohnte er allen
Vorstellungen bei, worin sie auftrat und die eine maßlose
Begeisterung der Zuhörer stets zu wirklichen Triumphen
gestaltete. Mehrmals, wenn er seine Leidenschaft nicht zu
meistern imstande war, hatte er versucht, bei La Stilla Zu-
tritt zu erlangen; deren Tür blieb jedoch für ihn, wie für
andere fanatische Anbeter der Künstlerin, unerbittlich ge-
schlossen.
Der junge Graf verfiel hierdurch erklärlicherweise bald
einem recht beklagenswerten Zustand. Da er nur noch an
La Stillas dachte, nur lebte, um sie zu sehen und zu hören,
ohne daß es ihm einfiel, in der Gesellschaft sonstige Ver-
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bindungen zu suchen, zu denen ihn Name und Geburt ei-
gentlich fast verpflichteten, wurde seine Gesundheit infolge
jener unablässigen Spannung des Herzens und des Geistes
bald ernsthaft erschüttert. Was würde er erst gelitten ha-
ben, wenn er gar noch einen Rivalen gehabt hätte! Doch er
wußte ja, daß ein derartiger Verdacht grundlos wäre – sogar
bezüglich einer seltsamen Persönlichkeit, die wir hier etwas
eingehender zeichnen müssen, weil sie in den Verlauf dieser
Erzählung bedeutungsvoll eingreift.
Es war das zur Zeit der letzten Reise Franz von Teleks
nach Neapel ein Mann von 55 Jahren – für so alt schätzte
man ihn wenigstens allgemein. Diese sehr verschlossene
Persönlichkeit schien die in den höheren Klassen geltenden
gesellschaftlichen Forderungen völlig zu verachten. Nie-
mand erfuhr etwas von seiner Familie, von seiner Stellung
oder Vergangenheit. Man sah den Mann heute in Rom und
morgen in Florenz, doch, wie deutlich zu merken war, nur
je nachdem La Stilla in Rom oder in Florenz auftrat. Man
kannte von ihm nur eine Leidenschaft: die berühmte Pri-
madonna zu hören, die damals den allerersten Platz in der
Gesangskunst innehatte.
Lebte Franz von Telek für La Stilla erst seit dem Tag, wo
er sie in jenem Theater Neapels gesehen hatte, so lebte jener
exzentrische Kunstfreund schon seit 6 Jahren nur dafür, sie
zu hören, und es schien wirklich, als sei die Stimme der Sän-
gerin für seine Existenz ebenso notwendig geworden, wie
die Luft, die er atmete. Dabei hatte er ihr niemals anderswo
zu begegnen gesucht als auf der Bühne; niemals sich ihr
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vorgestellt oder sich schriftlich an sie gewendet. Jedesmal
aber, wenn La Stilla in einem beliebigen Theater Italiens
singen sollte, sah man dort einen hochgewachsenen Mann
mit langem dunklen Überrock und einem das Gesicht be-
schattenden Hut eintreten. Dieser Mann nahm schleunigst
in einer vorher für ihn bestellten vergitterten Loge Platz.
Hier blieb er abgeschlossen, einsam und schweigend wäh-
rend der ganzen Vorstellung sitzen. Sobald aber La Stillas
letzte Töne verklungen waren, eilte er davon, ohne daß ir-
gendein anderer Sänger oder eine andere Sängerin ihn hätte
zurückhalten können; er hätte diesen überhaupt kein Ohr
geliehen.
Vergebens hatte La Stilla zu erfahren gesucht, wer dieser
übereifrige Bewunderer ihrer Leistungen wohl sein möge.
Bei ihrer sehr empfindsamen Natur erschrak sie
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