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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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schließ-
    lich über die fortwährende Anwesenheit des wunderlichen
    Mannes – ein Schrecken, der übrigens ebenso grundlos war,
    wie sie sich dessen doch nicht zu erwehren vermochte. Ob-
    wohl sie ihn in seiner Loge, deren Gitter stets hochgezogen
    blieb, nicht selbst sehen konnte, wußte sie, daß er sich darin
    befand, fühlte sie seinen auf sie gerichteten durchbohren-
    den Blick und wurde dadurch so erregt, daß sie nicht einmal
    den Jubel der Zuschauer hörte, der sie bei ihrem Erscheinen
    begrüßte.
    Wir erwähnten bereits, daß sich dieser Sonderling La
    Stilla niemals vorgestellt hatte. Unterließ er aber jeden Ver-
    such, die »Frau« kennenzulernen – wir legen hierauf beson-
    deres Gewicht –, so blieb doch alles, was ihn an die »Künst-
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    lerin« erinnern konnte, das Endziel seiner nie erlahmenden
    Aufmerksamkeit. So besaß er eines der schönsten Porträts,
    die der große Maler Michel Gregorio von der Künstlerin
    hergestellt hatte, in dem sie mit ihrer ganzen Leidenschaft-
    lichkeit, selbst erhebend und doch erhaben und völlig in ih-
    rer Rolle aufgegangen, wiedergegeben war, und dieses mit
    Gold aufgewogene Bild hatte in der Tat den von dem Kunst-
    enthusiasten dafür bezahlten Wert.
    Blieb dieser seltsame Mann stets allein, wenn er bei La
    Stillas Vorstellungen seine Loge einnahm, und verließ er
    sonst niemals seine Wohnung, außer um sich ins Theater
    zu begeben, darf man daraus jedoch nicht schließen, daß
    er vollständig als Einsiedler dahinlebte. Nein, ein Gefährte,
    allerdings nur ein nicht weniger verschrobener Mann, teilte
    seine Gesellschaft.
    Dieses Individuum nannte sich Orfanik. Wie alt er war,
    woher er kam und wo er das Licht der Welt erblickt hatte,
    das hätte kein Mensch sagen können. Wenn man ihn hörte –
    denn er plauderte recht gern – hielt man den Mann wohl für
    einen verkannten Gelehrten, dessen Licht unter dem Schef-
    fel brennen mochte und der die Welt mit widerwilligem
    Auge ansah. Man vermutete nicht ohne Grund, er werde so
    ein armer Teufel von Erfinder sein, der gemächlich auf Kos-
    ten der Börse des reichen Kunstfreundes lebte.
    Orfanik war von Mittelgröße, hager, sah kränklich und
    abgezehrt aus und hatte eines jener bleichen Gesichter, die
    man in der Sprache früherer Zeit als die eines »Erzkni-
    ckers« bezeichnete. Als besonderes Kennzeichen trug er
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    eine künstliche schwarze Ohrmuschel anstelle des rechten
    Ohrs, das er bei irgendeinem physikalischen oder chemi-
    schen Experiment verloren haben mochte, und auf der
    Nase eine mächtige Brille, deren einziges myopisches Glas
    für das in grünlichem Glanz leuchtende linke Auge diente.
    Während seiner einsamen Spaziergänge fuchtelte er mit den
    Armen umher, als spräche er mit einem unsichtbaren We-
    sen, das ihm wohl zuhörte, doch niemals antwortete.
    Diese beiden Gestalten, der sonderbare Musiknarr und
    der nicht minder sonderbare Orfanik, waren, wenigstens
    soweit das möglich war, sehr bekannt in allen italienischen
    Städten, wohin sie die jeweilige Theatersaison rief. Sie besa-
    ßen eine Art Privileg, die öffentliche Neugierde zu erregen,
    und obgleich der Bewunderer La Stillas sich alle Bericht-
    erstatter und indiskreten Interviewer vom Hals zu halten
    verstanden hatte, wurde dessen Name und Nationalität
    schließlich doch bekannt. Er stammte danach aus Rumä-
    nien, und als Franz von Telek nach seinem Namen fragte,
    antwortete man ihm: »Baron Rudolph von Gortz.«
    So war die Sachlage zu der Zeit, wo der junge Graf eben
    in Neapel eingetroffen war. Seit 2 Monaten schon wurde das
    Theater San Carlo niemals leer, und La Stillas Erfolge stei-
    gerten sich mit jedem Abend. Noch nie hatte sie sich in den
    verschiedenen Rollen ihres Repertoirs so bewunderungs-
    würdig erwiesen, nie begeistertere Huldigungen entfesselt.
    Bei jeder Vorstellung, der Franz von Telek auf seinem
    Parkettsitz in der Nähe des Orchesters beiwohnte, vertiefte
    sich der in seiner Loge verborgene Baron von Gortz in die-
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    sen herrlichen Gesang und saugte die ergreifende Stimme
    förmlich in sich auf, ohne die er nicht bestehen zu können
    schien.
    Da lief ein unerwartetes Gerücht durch ganz Nea-
    pel – ein Gerücht, dem anfangs niemand Glauben schenken
    wollte, das schließlich aber die ganze kunstfreundliche Welt
    schwer beunruhigte.
    Man erzählte sich, daß La Stilla nach Ablauf der Saison
    der Bühne entsagen werde. Wie? Im Vollbesitz ihres Talents,
    in der Fülle kaum

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