Das Karpatenschloß
schließ-
lich über die fortwährende Anwesenheit des wunderlichen
Mannes – ein Schrecken, der übrigens ebenso grundlos war,
wie sie sich dessen doch nicht zu erwehren vermochte. Ob-
wohl sie ihn in seiner Loge, deren Gitter stets hochgezogen
blieb, nicht selbst sehen konnte, wußte sie, daß er sich darin
befand, fühlte sie seinen auf sie gerichteten durchbohren-
den Blick und wurde dadurch so erregt, daß sie nicht einmal
den Jubel der Zuschauer hörte, der sie bei ihrem Erscheinen
begrüßte.
Wir erwähnten bereits, daß sich dieser Sonderling La
Stilla niemals vorgestellt hatte. Unterließ er aber jeden Ver-
such, die »Frau« kennenzulernen – wir legen hierauf beson-
deres Gewicht –, so blieb doch alles, was ihn an die »Künst-
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lerin« erinnern konnte, das Endziel seiner nie erlahmenden
Aufmerksamkeit. So besaß er eines der schönsten Porträts,
die der große Maler Michel Gregorio von der Künstlerin
hergestellt hatte, in dem sie mit ihrer ganzen Leidenschaft-
lichkeit, selbst erhebend und doch erhaben und völlig in ih-
rer Rolle aufgegangen, wiedergegeben war, und dieses mit
Gold aufgewogene Bild hatte in der Tat den von dem Kunst-
enthusiasten dafür bezahlten Wert.
Blieb dieser seltsame Mann stets allein, wenn er bei La
Stillas Vorstellungen seine Loge einnahm, und verließ er
sonst niemals seine Wohnung, außer um sich ins Theater
zu begeben, darf man daraus jedoch nicht schließen, daß
er vollständig als Einsiedler dahinlebte. Nein, ein Gefährte,
allerdings nur ein nicht weniger verschrobener Mann, teilte
seine Gesellschaft.
Dieses Individuum nannte sich Orfanik. Wie alt er war,
woher er kam und wo er das Licht der Welt erblickt hatte,
das hätte kein Mensch sagen können. Wenn man ihn hörte –
denn er plauderte recht gern – hielt man den Mann wohl für
einen verkannten Gelehrten, dessen Licht unter dem Schef-
fel brennen mochte und der die Welt mit widerwilligem
Auge ansah. Man vermutete nicht ohne Grund, er werde so
ein armer Teufel von Erfinder sein, der gemächlich auf Kos-
ten der Börse des reichen Kunstfreundes lebte.
Orfanik war von Mittelgröße, hager, sah kränklich und
abgezehrt aus und hatte eines jener bleichen Gesichter, die
man in der Sprache früherer Zeit als die eines »Erzkni-
ckers« bezeichnete. Als besonderes Kennzeichen trug er
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eine künstliche schwarze Ohrmuschel anstelle des rechten
Ohrs, das er bei irgendeinem physikalischen oder chemi-
schen Experiment verloren haben mochte, und auf der
Nase eine mächtige Brille, deren einziges myopisches Glas
für das in grünlichem Glanz leuchtende linke Auge diente.
Während seiner einsamen Spaziergänge fuchtelte er mit den
Armen umher, als spräche er mit einem unsichtbaren We-
sen, das ihm wohl zuhörte, doch niemals antwortete.
Diese beiden Gestalten, der sonderbare Musiknarr und
der nicht minder sonderbare Orfanik, waren, wenigstens
soweit das möglich war, sehr bekannt in allen italienischen
Städten, wohin sie die jeweilige Theatersaison rief. Sie besa-
ßen eine Art Privileg, die öffentliche Neugierde zu erregen,
und obgleich der Bewunderer La Stillas sich alle Bericht-
erstatter und indiskreten Interviewer vom Hals zu halten
verstanden hatte, wurde dessen Name und Nationalität
schließlich doch bekannt. Er stammte danach aus Rumä-
nien, und als Franz von Telek nach seinem Namen fragte,
antwortete man ihm: »Baron Rudolph von Gortz.«
So war die Sachlage zu der Zeit, wo der junge Graf eben
in Neapel eingetroffen war. Seit 2 Monaten schon wurde das
Theater San Carlo niemals leer, und La Stillas Erfolge stei-
gerten sich mit jedem Abend. Noch nie hatte sie sich in den
verschiedenen Rollen ihres Repertoirs so bewunderungs-
würdig erwiesen, nie begeistertere Huldigungen entfesselt.
Bei jeder Vorstellung, der Franz von Telek auf seinem
Parkettsitz in der Nähe des Orchesters beiwohnte, vertiefte
sich der in seiner Loge verborgene Baron von Gortz in die-
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sen herrlichen Gesang und saugte die ergreifende Stimme
förmlich in sich auf, ohne die er nicht bestehen zu können
schien.
Da lief ein unerwartetes Gerücht durch ganz Nea-
pel – ein Gerücht, dem anfangs niemand Glauben schenken
wollte, das schließlich aber die ganze kunstfreundliche Welt
schwer beunruhigte.
Man erzählte sich, daß La Stilla nach Ablauf der Saison
der Bühne entsagen werde. Wie? Im Vollbesitz ihres Talents,
in der Fülle kaum
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