Das Karpatenschloß
ausgereifter Schönheit, auf dem Gipfel
des Künstlerruhms – war es da möglich, daß sie schon an
einen Rücktritt nur denken konnte?
So unwahrscheinlich das schien, war es doch begrün-
det, und ohne daß er etwas davon ahnte, verschuldete die-
sen Entschluß zum Teil wenigstens der unselige Baron von
Gortz.
Dieser Zuhörer mit seinem geheimnisvollen Verhalten,
der, wenn auch in der vergitterten Loge unsichtbar, doch
stets anwesend war, hatte in La Stilla endlich eine fortdau-
ernde nervöse Überreizung erzeugt, der sich die Sängerin
nicht mehr zu wehren vermochte. Von ihrem ersten Er-
scheinen auf der Szene fühlte sie sich von diesem, übrigens
auch für die Zuschauer wahrnehmbaren Seelenleiden tief
bedrückt, und das hatte allmählich ihre Gesundheit unter-
graben. Ein Fortgehen von Neapel, eine Flucht nach Rom,
Venedig oder einer anderen Stadt der Halbinsel hätte, das
wußte sie, auch nicht genügt, den Baron von Gortz aus ihrer
Nähe zu scheuchen. Sie hätte ihm sicherlich nicht auch ent-
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kommen können, wenn sie sich von Italien aus etwa nach
Deutschland, Rußland oder Frankreich begeben hätte. Er
folgte ihr doch überall hin, wo ihre Stimme erklang, und so
sah sie eine Befreiung von diesem lästigen Verfolger nur in
dem völligen Aufgeben ihrer Bühnentätigkeit.
Schon 2 Monate, bevor sich das Gerücht von ihrem
Rücktritt verbreitete, hatte Franz von Telek sich der Sänge-
rin gegenüber zu einem Schritt entschlossen, dessen weitere
Folgen unglücklicherweise die verderblichste Katastrophe
herbeiführen sollten. Persönlich völlig frei und Herr eines
sehr beträchtlichen Vermögens, hatte er einmal Zutritt bei
ihr erlangt und ihr da angeboten, Gräfin von Telek zu wer-
den.La Stilla kannte übrigens schon seit einiger Zeit die Emp-
findungen, die sie dem jungen Grafen einflößte. Sie hatte
sich auch gestanden, daß dieser ein Mann war, dem jede
Frau – selbst aus den höchsten Kreisen – ihr Lebensglück
getrost anvertrauen konnte. Derartigen Gedanken hing sie
eben nach, als Franz von Telek ihr seinen Namen anbot, und
sie nahm das mit warmem Entgegenkommen an, das sie gar
nicht zu verbergen suchte. Mit vollem Vertrauen auf seine
Gefühle stimmte sie zu, die Gattin des Grafen Telek zu wer-
den, ohne die Unterbrechung der künstlerischen Laufbahn
zu beklagen.
Die große Neuigkeit bestätigte sich also, La Stilla sollte
nach dem Ende der Spielzeit im San Carlo auf keiner Bühne
mehr erscheinen. Ihre Vermählung, die man bisher nur ver-
mutete, wurde jetzt als sicher hingestellt.
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Natürlich brachte das eine wunderbare Wirkung nicht
nur in den Künstlerkreisen, sondern überhaupt in der vor-
nehmen Welt Italiens hervor. Hatte man zuerst an die Ver-
wirklichung eines solchen Vorhabens nicht glauben wollen,
mußte man sich nun der Tatsache fügen. Eifersucht und
Haß erwachten gegen den fremden jungen Grafen, der
die größte Sängerin der damaligen Zeit ihrer Kunst, ihren
Erfolgen und der Vergötterung durch alle Theaterfreunde
abwendig machte. Ja, es kam sogar zu persönlichen Dro-
hungen gegen Franz von Telek, um die sich der junge Mann
jedoch nicht im geringsten kümmerte.
Wenn eine solche Aufregung in weiten Kreisen herrschte,
kann man sich wohl vorstellen, was Rudolph von Gortz bei
dem Gedanken empfinden mußte, daß La Stilla ihm ent-
rissen werden, daß er damit alles verlieren sollte, was ihn
an das Leben fesselte. Man raunte sich schon zu, daß er
mit Selbstmordgedanken umgehe. Gewiß war nur das eine,
daß man Orfanik nicht länger in den Straßen Neapels um-
herwandern sah. Er wich nicht mehr von Baron Rudolphs
Seite, erschien dagegen sogar mehrmals mit in der Loge des
San Carlo, die der Baron für jede Opernvorstellung belegt
hatte – und das war dem Mann niemals begegnet, da die-
sem, wie so vielen anderen Gelehrten, für den Reiz der Mu-
sik jedes Verständnis fehlte.
Inzwischen verstrich ein Tag nach dem andern, die Erre-
gung beruhigte sich aber nicht, ja sie erreichte ihren Höhe-
punkt an dem Abend, wo La Stilla zum letzten Mal auftreten
sollte. In der prächtigen Rolle der Angelica, im ›Orlando‹,
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dem schönsten Werk des Maestro Arconati, gedachte sie
den Zuhörern das letzte Lebewohl zu sagen.
An dem betreffenden Abend erwies sich das San Carlo-
Theater um das Zehnfache zu klein für all die Scharen, die
sich vor seinen Pforten drängten und deren größter
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