Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Teil
    unverrichteter Dinge umkehren mußte. Man befürchtete
    Kundgebungen gegen den Grafen von Telek, wenn auch
    nicht während des Gesangs der Gefeierten, so doch, wenn
    nach dem 5. Akt der Oper der Vorhang herabsinken würde.
    Der Baron von Gortz hatte in seiner Loge Platz genom-
    men, und auch diesmal befand sich Orfanik an seiner Seite.
    La Stilla erschien, aber aufgeregter denn je. Sie wußte
    sich jedoch zu fassen, überließ sich ganz ihrer Eingebung
    und sang – sang mit solcher Vollendung, mit so unvergleich-
    licher Begabung, daß es jeder Schilderung spottet. Die un-
    beschreibliche Begeisterung, die sich der Zuhörer bemäch-
    tigte, steigerte sich fast bis zum Wahnwitz.
    Während der Vorstellung befand sich der junge Graf hin-
    ter der Bühne; dort wartete er ungeduldig, nervös, fast fie-
    berhaft erregt, verwünschte, seiner selbst nicht mehr Herr,
    die Länge der einzelnen Auftritte und ereiferte sich über
    die Verzögerungen durch den nie enden wollenden Beifall
    und die Hervorrufe aus allen Rängen des Hauses. Oh, wie
    drängte es ihn, die eine, die nun Gräfin von Telek werden
    sollte, dem Theater zu entreißen, sie weit, weit hinweg zu
    führen, so weit, daß sie ihm – nur ihm allein angehörte.
    Endlich kam der tief ergreifende Auftritt, in dem die
    Heldin des ›Orlando‹ stirbt. Niemals vorher erschien die

    — 179 —
    — 180 —
    prächtige Musik Arconatis packender, niemals verlieh ihr
    La Stilla einen so leidenschaftlichen Ausdruck. Ihre ganze
    Seele schien auf den Lippen der Künstlerin zu schweben.
    Und doch – es machte den Eindruck als ob diese, dann
    und wann kurz absetzende Stimme brechen wollte, diese
    Stimme, die nun für immer verstummen sollte.
    In diesem Augenblick sank das Gitter vor der Loge des
    Barons von Gortz herunter. Ein merkwürdiger Kopf mit
    langem halbgrauen Haar und flammenden Augen wurde
    sichtbar, das Gesicht zeigte eine erschreckende Blässe, und
    Franz von Telek, dem das noch nie begegnet war, sah die
    Erscheinung von seinem Standpunkt hinter den Kulissen in
    vollem Licht.
    La Stilla ließ sich von dem begeisternden Feuer der un-
    vergleichlichen Schlußarie mit hinreißen. Sie sang gerade
    mit überirdischem Ausdruck die Worte:
    Innamorata, mio cuore tremante,
    Voglio morire ...
    Plötzlich schweigt sie. Das Gesicht des Barons von Gortz
    macht sie erstarren. Ein furchtbares Entsetzen lähmt sie. Sie
    führt die Hand nach dem Mund, der sich mit Blut rötet, sie
    strauchelt, sinkt zusammen ...
    Die Zuhörerschaft springt in die Höhe – bebend – ver-
    wirrt – sinnlos vor Angst.
    Aus der Loge des Barons von Gortz dringt ein schriller
    Aufschrei.

    — 181 —
    — 182 —
    Franz stürmt auf die Szene, er nimmt La Stilla in die
    Arme, hebt sie auf, starrt sie an, ruft sie mit Namen.
    »Tot! Tot!« schreit er, »Tot!«
    La Stilla weilt nicht mehr unter den Lebenden. In ihrer
    Brust ist eine Ader gesprungen. Ihr Gesang verstummte mit
    ihrem letzten Seufzer!
    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
    Der junge Graf wurde zu seinem Hotel in einem Zustand
    geschafft, der um seinen Verstand fürchten ließ. Er war au-
    ßerstande, dem Begräbnis La Stillas beizuwohnen, das un-
    ter einem nie dagewesenen Zulauf aus allen Volksschichten
    Neapels stattfand.
    Auf dem Campo Santo Nuovo, wo die Sängerin beerdigt
    wurde, liest man auf einfachem weißen Marmorblock nur
    den Namen
    La Stilla.
    Am Abend des Begräbnistags erschien ein Mann auf
    dem Campo Santo Nuovo. Mit irrem Blick, herabgesunke-
    nem Haupt und so fest geschlossenen Lippen, als hätte der
    Tod sie schon versiegelt, starrte er lange Zeit auf die Stelle,
    unter der La Stilla für immer schlummerte. Er scheint zu
    lauschen, als ob die Stimme der Künstlerin noch einmal aus
    dem Grab herauftönen solle.
    Der schweigsame Besucher war Rudolph von Gortz.
    Noch in derselben Nacht verließ der Baron Gortz in
    Begleitung Orfaniks Neapel, und seit dieser Zeit hätte nie-
    mand sagen können, was aus ihm geworden war.
    Am folgenden Morgen aber erhielt der junge Graf einen
    — 183 —
    an ihn gerichteten Brief. Dieser Brief enthielt in kurzer dro-
    hender Fassung die Worte:
    »Du bist es, der sie getötet hat! und Wehe über Dich,
    Graf von Telek!
    Rudolph von Gortz.«
    10
    Das war das Trauerspiel des Lebens unseres Franz von Te-
    lek.Einen Monat lang schwebte er in höchster Gefahr; der
    junge Graf erkannte niemand – nicht einmal seinen ge-
    treuen Rotzko. Als er im

Weitere Kostenlose Bücher