Das Karpatenschloß
Teil
unverrichteter Dinge umkehren mußte. Man befürchtete
Kundgebungen gegen den Grafen von Telek, wenn auch
nicht während des Gesangs der Gefeierten, so doch, wenn
nach dem 5. Akt der Oper der Vorhang herabsinken würde.
Der Baron von Gortz hatte in seiner Loge Platz genom-
men, und auch diesmal befand sich Orfanik an seiner Seite.
La Stilla erschien, aber aufgeregter denn je. Sie wußte
sich jedoch zu fassen, überließ sich ganz ihrer Eingebung
und sang – sang mit solcher Vollendung, mit so unvergleich-
licher Begabung, daß es jeder Schilderung spottet. Die un-
beschreibliche Begeisterung, die sich der Zuhörer bemäch-
tigte, steigerte sich fast bis zum Wahnwitz.
Während der Vorstellung befand sich der junge Graf hin-
ter der Bühne; dort wartete er ungeduldig, nervös, fast fie-
berhaft erregt, verwünschte, seiner selbst nicht mehr Herr,
die Länge der einzelnen Auftritte und ereiferte sich über
die Verzögerungen durch den nie enden wollenden Beifall
und die Hervorrufe aus allen Rängen des Hauses. Oh, wie
drängte es ihn, die eine, die nun Gräfin von Telek werden
sollte, dem Theater zu entreißen, sie weit, weit hinweg zu
führen, so weit, daß sie ihm – nur ihm allein angehörte.
Endlich kam der tief ergreifende Auftritt, in dem die
Heldin des ›Orlando‹ stirbt. Niemals vorher erschien die
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prächtige Musik Arconatis packender, niemals verlieh ihr
La Stilla einen so leidenschaftlichen Ausdruck. Ihre ganze
Seele schien auf den Lippen der Künstlerin zu schweben.
Und doch – es machte den Eindruck als ob diese, dann
und wann kurz absetzende Stimme brechen wollte, diese
Stimme, die nun für immer verstummen sollte.
In diesem Augenblick sank das Gitter vor der Loge des
Barons von Gortz herunter. Ein merkwürdiger Kopf mit
langem halbgrauen Haar und flammenden Augen wurde
sichtbar, das Gesicht zeigte eine erschreckende Blässe, und
Franz von Telek, dem das noch nie begegnet war, sah die
Erscheinung von seinem Standpunkt hinter den Kulissen in
vollem Licht.
La Stilla ließ sich von dem begeisternden Feuer der un-
vergleichlichen Schlußarie mit hinreißen. Sie sang gerade
mit überirdischem Ausdruck die Worte:
Innamorata, mio cuore tremante,
Voglio morire ...
Plötzlich schweigt sie. Das Gesicht des Barons von Gortz
macht sie erstarren. Ein furchtbares Entsetzen lähmt sie. Sie
führt die Hand nach dem Mund, der sich mit Blut rötet, sie
strauchelt, sinkt zusammen ...
Die Zuhörerschaft springt in die Höhe – bebend – ver-
wirrt – sinnlos vor Angst.
Aus der Loge des Barons von Gortz dringt ein schriller
Aufschrei.
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Franz stürmt auf die Szene, er nimmt La Stilla in die
Arme, hebt sie auf, starrt sie an, ruft sie mit Namen.
»Tot! Tot!« schreit er, »Tot!«
La Stilla weilt nicht mehr unter den Lebenden. In ihrer
Brust ist eine Ader gesprungen. Ihr Gesang verstummte mit
ihrem letzten Seufzer!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der junge Graf wurde zu seinem Hotel in einem Zustand
geschafft, der um seinen Verstand fürchten ließ. Er war au-
ßerstande, dem Begräbnis La Stillas beizuwohnen, das un-
ter einem nie dagewesenen Zulauf aus allen Volksschichten
Neapels stattfand.
Auf dem Campo Santo Nuovo, wo die Sängerin beerdigt
wurde, liest man auf einfachem weißen Marmorblock nur
den Namen
La Stilla.
Am Abend des Begräbnistags erschien ein Mann auf
dem Campo Santo Nuovo. Mit irrem Blick, herabgesunke-
nem Haupt und so fest geschlossenen Lippen, als hätte der
Tod sie schon versiegelt, starrte er lange Zeit auf die Stelle,
unter der La Stilla für immer schlummerte. Er scheint zu
lauschen, als ob die Stimme der Künstlerin noch einmal aus
dem Grab herauftönen solle.
Der schweigsame Besucher war Rudolph von Gortz.
Noch in derselben Nacht verließ der Baron Gortz in
Begleitung Orfaniks Neapel, und seit dieser Zeit hätte nie-
mand sagen können, was aus ihm geworden war.
Am folgenden Morgen aber erhielt der junge Graf einen
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an ihn gerichteten Brief. Dieser Brief enthielt in kurzer dro-
hender Fassung die Worte:
»Du bist es, der sie getötet hat! und Wehe über Dich,
Graf von Telek!
Rudolph von Gortz.«
10
Das war das Trauerspiel des Lebens unseres Franz von Te-
lek.Einen Monat lang schwebte er in höchster Gefahr; der
junge Graf erkannte niemand – nicht einmal seinen ge-
treuen Rotzko. Als er im
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