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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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einmal über diese hinauszufliegen.
    Der junge Graf stand ungefähr im 23. Lebensjahr, als er
    — 167 —
    den Entschluß zu reisen faßte. Sein Vermögen gestattete
    ihm, der neuen Liebhaberei unbeschränkt zu huldigen. So
    überließ er eines Tages das Schloß bei Krajowa der Sorge
    seiner alten Diener und verließ das walachische Vaterland.
    Mit sich nahm er Rotzko, einen früheren rumänischen Sol-
    daten, der schon seit 10 Jahren im Dienst der Familie von
    Telek stand und ihn bisher auf allen Jagdausflügen begleitet
    hatte. Das war ein kühner, tatkräftiger Mann, voller Erge-
    benheit gegen seinen jugendlichen Herrn.
    Die Absicht des jungen Grafen ging dahin, Europa zu
    besuchen, indem er einige Monate in den Residenzen und
    sonstigen Hauptplätzen des Erdteils zu verweilen gedachte.
    Nicht ohne Grund erwartete er, seine durch den Unterricht
    im Schloß bei Krajowa doch nur mangelhaft entwickelte
    Ausbildung zu vervollkommnen durch die Erfahrungen bei
    einer längeren Reise, deren Plan er sich sorgsam zurecht-
    gelegt hatte.
    Italien wollte Franz von Telek in erster Linie besuchen,
    weil er die italienische Sprache, die ihn der alte Geistliche
    gelehrt hatte, am geläufigsten sprach. Der Zauber dieses an
    Erinnerungen so überreichen Landes, zu dem er sich vor
    allem hingezogen fühlte, fesselte ihn dort 4 volle Jahre. Er
    verließ nur Venedig, um nach Florenz, oder Rom, um nach
    Neapel zu gehen, und kehrte nach diesen Hauptsitzen der
    Künste, von denen er sich nicht losreißen konnte, immer
    wieder zurück. Frankreich, Deutschland, Spanien, Rußland,
    England usw. wollte er später sehen und hoffte, diese Länder
    mit um so größerem Erfolg studieren zu können, wenn die
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    Zeit seine geistige Auffassung weiter gereift hätte. Dagegen
    bedarf es der frischesten Eindrucksfähigkeit der Jugend, um
    die Reize der italienischen Großstädte voll zu genießen.
    Franz von Telek war 27 Jahre alt, als er zum letzten Mal
    nach Neapel kam. Er wollte hier vor seiner Abreise nach Si-
    zilien nur wenige Tage verweilen. Mit einer Besichtigung
    der alten »Trinakria« gedachte er seine erste Reiseperiode
    abzuschließen, um sich dann einmal auf dem Schloß Kra-
    jowa ein Jahr der Ruhe zu gönnen.
    Da sollte ein unvorhergesehener Zwischenfall nicht nur
    seine für die nächste Zukunft vorliegenden Pläne umwer-
    fen, sondern über sein ganzes Leben entscheiden und die-
    sem ein anderes Ziel geben.
    Wenn der junge Graf während des mehrjährigen Aufent-
    halts in Italien bezüglich seiner wissenschaftlichen Ausbil-
    dung – wofür es ihm an natürlicher Anlage gebrach – we-
    nig gewonnen hatte, so war in ihm doch das Gefühl für das
    Schöne ebenso geweckt worden, wie etwa in einem früher
    Blinden das Verständnis für den Begriff des Lichts. Für die
    Wunderpracht der Kunst jetzt in höchstem Maß empfäng-
    lich, begeisterte er sich im Anblick von Meisterwerken der
    Malerei, wenn er die Museen von Neapel, Venedig, Florenz
    und Rom besuchte. Gleichzeitig hatte er durch die Theater
    die dramatische Literatur der Zeit kennengelernt und sich
    mit Leidenschaft in der Beurteilung der Leistungen vieler
    Bühnenkünstler ausgebildet.
    Da ereignete es sich während seines letzten Aufenthalts
    in Neapel und unter in folgendem zu schildernden außer-
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    gewöhnlichen Umständen, daß in sein Herz ein tieferes Ge-
    fühl, eine bisher ungekannte Teilnahme nicht für die Bühne
    allein einzog.
    Gerade zu jener Zeit trat im San Carlo-Theater eine be-
    rühmte Sängerin auf, deren silberhelle Stimme, vollendeter
    Vortrag und vorzügliches Spiel die Bewunderung der Di-
    lettanten weckten. Bisher hatte La Stilla noch niemals nach
    dem Beifall des Auslands gestrebt und sang ausschließlich
    italienische Musik, die bezüglich der Kompositionskunst
    die erste Stelle einnahm. Das Theater Carignan in Turin, die
    Scala in Mailand, das Theater Alfieri in Florenz, das Apollo-
    Theater in Rom und San Carlo in Neapel wechselten sich im
    zeitweiligen Besitz der Sängerin ab, und bei den hier geern-
    teten Triumphen kam dieser niemals ein Bedauern an, auf
    den anderen großen Bühnen Europas noch nicht geglänzt
    zu haben.
    Die jetzt 25jährige Stilla war eine Frau von berücken-
    der Schönheit mit langem goldigen Haar, schwarzen, uner-
    gründlichen Augen, aus denen Flammen hervorzuzucken
    schienen, mit tadellos reinen Gesichtszügen, warmem Teint
    und einer Gestalt, die der Meißel eines Praxiteles nicht

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