Das Karpatenschloß
nach konnten weder Gendarmen noch Poli-
zisten, nicht einmal Soldaten mit den übersinnlichen Wesen
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fertig werden, die sich ja mit ganz unbekannten Mitteln zu
verteidigen verstanden.
»Doch da fällt mir ein, meine Herren«, ergriff der junge
Graf noch einmal das Wort, »Sie haben mir ja noch gar
nicht gesagt, wem das Karpatenschloß gehört oder doch ge-
hört hat.«
»Einer alten im Land angesessenen Familie, Herr Graf,
der der Barone von Gortz«, antwortete Meister Koltz.
»Der Familie von Gortz!« rief Franz von Telek.
»Ja, genau der.«
»Zu der gehörte auch Baron Rudolph?«
»Sicher, Herr Graf.«
»Und weiß jemand, was aus ihm geworden ist?«
»Nein. Seit einer Reihe von Jahren ist der Baron von
Gortz nicht mehr im Schloß erschienen.«
Franz von Telek war kreidebleich geworden, und unwill-
kürlich wiederholte er mit halb gebrochener Stimme den
Namen: »Rudolph von Gortz.«
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Die Familie der Grafen von Telek, eine der ältesten und be-
rühmtesten Rumäniens, nahm hier schon eine hervorra-
gende Stellung ein, bevor sich das Land gegen Anfang des
16. Jahrhunderts seine Unabhängigkeit erkämpft hatte. Ver-
knüpft mit allen politischen Vorkommnissen, die die Ge-
schichte dieser Gebiete bilden, leuchtete darin der Name
der gräflichen Familie schon lange in fleckenreinem Glanz.
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Heute, minder begünstigt als die vielgenannte Buche des
Karpatenschlosses, der ja noch drei Zweige übrig geblieben
waren, sah sich der Stammbaum der Teleks auf einen einzi-
gen Zweig beschränkt, den der Teleks von Krajowa, dessen
letzter Sproß in dem jungen Edelmann blühte, der eben im
Dorf Werst angelangt war.
Während seiner Kindheit hatte Franz den Familien-
stammsitz, den der Graf und die Gräfin von Telek bewohn-
ten, niemals verlassen. Die Nachkommen des Hauses genos-
sen das größte Ansehen und machten von ihrem Vermögen
freigebigen Gebrauch. Für gewöhnlich das sorglose und
glatt verlaufende Leben des Landadels führend, verließen
sie ihr Besitztum bei Krajowa nur einmal jährlich, wenn Ge-
schäfte sie in den Flecken gleichen Namens riefen, obgleich
dieser nur wenige Meilen von ihrem Schloß entfernt lag.
Diese Lebensweise äußerte selbstverständlich ihren Ein-
fluß auf die Erziehung ihres einzigen Sohnes, und Franz
sollte noch lange von der Umgebung, in der seine Jugend
verstrichen war, gewisse Nachwehen fühlen. Als Lehrer
hatte er bloß einen alten italienischen Weltgeistlichen, der
ihm nur beibringen konnte, was er selbst kannte, und das
war verzweifelt wenig. Als man den Knaben schon eher ei-
nen jungen Mann nennen konnte, besaß er nur sehr dürftige
Kenntnisse der Wissenschaften, Künste und der herrschen-
den Literatur. Leidenschaftlich zu jagen, Tag und Nacht
durch Wald und Feld zu streifen, Hirsche und Sauen zu het-
zen, mit dem Messer in der Hand die wilden Tiere in den
Bergen anzugreifen – das bildete so den gewöhnlichen Zeit-
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vertreib des jungen Grafen, der, mutig und entschlossen, bei
diesen rauhen Übungen wahre Heldentaten leistete.
Die Gräfin von Telek starb, als ihr Sohn kaum 15 Jahre
zählte, und dieser hatte erst die Zwanzig erreicht, als sein
Vater durch einen Jagdunfall ums Leben kam.
Der Schmerz darüber schnitt Franz tief in die Seele. Wie
er die Mutter beweint hatte, so beweinte er den Vater. Beide
waren ihm innerhalb kurzer Zeit entrissen worden. Seine
ganze Zuneigung, alles, was sein Herz an liebevollen Regun-
gen besaß, hatte sich bisher in jener kindlichen Anhänglich-
keit vereinigt, die ja den Ansprüchen der Kindheit und der
ersten Jugend vollständig Genüge leistet. Als diese Liebe
ihm aber zu fehlen begann und er, da inzwischen auch sein
Lehrer gestorben war, niemals einen Freund gehabt hatte,
da fühlte er sich recht vereinsamt in der Welt.
Noch 3 Jahre lang blieb der junge Graf auf dem Schloß
bei Krajowa, das er nie zu verlassen gedachte. Er lebte hier,
ohne Verbindung nach außen auch nur anzustreben. Höchs-
tens begab er sich wegen zwingender Geschäfte ein- oder
zweimal im Jahr nach Bukarest. Auch dann kürzte er seine
Abwesenheit so gut es ging, und eilte zu dem alten Famili-
ensitz zurück.
Ein solches Leben konnte aber doch nicht immer andau-
ern; Franz begann schließlich das Bedürfnis nach einer Er-
weiterung seines Horizonts zu empfinden, den die rumäni-
schen Gebirge doch gar zu eng begrenzten, und es verlangte
ihn nun, auch
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