Das Karpatenschloß
einem, einen nach links abweichenden
Winkel verstärkenden Strebepfeiler vorübergekommen war,
schrumpfte die Galerie mehr zu einem engen Gang zusam-
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men. Mit ausgestreckten Armen konnte er auf beiden Seiten
die Wand erreichen.
So drang er mit vorgebeugtem Körper und mit Hand
und Fuß den Weg untersuchend weiter vor und suchte sich
vor allem zu vergewissern, ob der Gang sich in gerade Rich-
tung verlängerte.
Etwa 200 Schritte von jenem Eckpfeiler erkannte Franz,
daß diese Richtung mehr nach links abwich und noch 50
Schritt weiter fast die entgegengesetzte wurde. Allerdings
konnte er sich nicht darüber klar werden, ob der Gang nach
der Zwischenmauer der Burg oder nach dem Fuß des Wart-
turms hin verlief.
Franz versuchte seinen Schritt zu beschleunigen, jeden
Augenblick aber sah er sich aufgehalten durch eine Un-
ebenheit des Erdbodens, gegen die er anstieß, oder durch
eine scharfe Biegung, die seine Richtung änderte. Dann und
wann entdeckte er auch eine die Wand durchbrechende
Öffnung, die in Seitengänge führte. Das ganze war und blieb
aber dunkel, unübersichtlich, und vergeblich suchte er sich
in diesem Labyrinth, einem wahren Maulwurfsbau, zu ori-
entieren.
Mehrmals mußte Franz, weil er sich in eine Art Sack-
gasse verirrt hatte, überhaupt wieder umkehren, und be-
sonders hatte er zu fürchten, daß vielleicht eine nicht fest
schließende Falltür unter seinen Füßen nachgeben könnte
und daß er in ein tiefes Verließ hinabstürzte, aus dem es für
ihn kein Entweichen mehr gegeben hätte. Sobald er daher
unter sich hohl klingende Planken fühlte, drängte er sich
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stets dicht an der Mauer hin, doch immer vorwärts mit ei-
nem Feuereifer, der ihm zum weiteren Überlegen gar keine
Muße ließ.
Da Franz auf dem ganzen Weg noch nie auf- oder ab-
wärts gegangen war, befand er sich voraussichtlich in glei-
cher Bodenhöhe mit den verschiedenen Innenhöfen, die
zwischen den Einzelwerken der Umwallung ausgespart la-
gen, und er durfte annehmen, daß der Gang schließlich im
Wartturm, vielleicht an dessen Treppe ausmünden werde.
Unzweifelhaft mußte doch zwischen dem Tor und den
Gebäuden der Burg ein näherer Weg vorhanden sein.
Zur der Zeit, wo die Familie von Gortz hier wohnte, lag
doch keine Notwendigkeit vor, beim Aus- oder Eingehen ei-
nen solchen gedeckten Gang zu benutzen. Eine zweite Tür,
dem Ausfallstor gegenüber, führte wirklich zu dem Waffen-
oder Turnierplatz, in dessen Mitte sich der Wartturm erhob.
Diese Tür war aber schon längst vermauert gewesen, so daß
Franz nicht einmal ihre Stelle entdecken konnte.
Bereits eine Stunde war verflossen, seit der junge Graf
auf gut Glück durch jene Irrwege vordrang, wobei er stets
auf ein etwaiges entferntes Geräusch lauschte, den Namen
La Stillas aber nicht zu rufen wagte, da er befürchtete, daß
die hier eingeengten Schallwellen ihn bis zu den Stockwer-
ken des Wartturms tragen könnten. Ohne jedoch den Mut
zu verlieren, wollte er weiter vordringen, solange ihm die
Kraft nicht versagte, oder nicht ein unüberwindliches Hin-
dernis seinen Schritten halt gebot.
Wenn er es auch anfangs nicht bemerkte, stand Franz
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doch nah am Ende seiner Kräfte. Seit seinem Weggang aus
Werst hatte er ja nichts zu sich genommen und litt jetzt
Hunger und Durst. Seine Schritte wurden unsicher, und
seine Knie schwankten. In der feuchtwarmen Kellerluft
keuchte er nur noch, statt zu atmen, und das Herz pochte
ihm zum Zerspringen.
Es mochte gegen 9 Uhr sein, als Franz, den einen Fuß
vorsetzend, keinen Boden mehr unter sich fühlte.
Er bückte sich und fand mit der Hand eine nach unten
führende Stufe und nach dieser eine zweite.
Hier war also eine Treppe.
Führte diese nun unter die Grundmauern des Schlosses,
und hatte sie vielleicht keinen Ausgang?
Franz zögerte doch nicht, darauf hinunterzusteigen, und
zählte die Stufen, die gegen die Richtung des Gangs mehr
seitwärts hinführten.
So überschritt er 77 Stufen und erreichte dann wieder
den waagrechten Gang, der sich in vielfachen dunklen Um-
wegen verlor.
Noch eine halbe Stunde wanderte Franz dahin, bis er von
Ermüdung überwältigt stehenblieb, gerade als 200 bis 300
Fuß weiterhin ein schwacher Lichtschein sichtbar wurde.
Doch woher kam dieser Schein? War es nur ein natür-
liches Phänomen, das Gas eines Irrlichts, das sich in dieser
Tiefe entzündet hatte? Oder nicht eher eine Laterne, die
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